Die Knopfkönigin: Historischer Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
und war zum wichtigsten Mann des Betriebs geworden. Das Unternehmertum schien dem Burschen im Blut zu liegen, er kümmerte sich um alle Belange der Schneiderei wie um seine eigenen, und Franziska, Nele und der alte Meister beobachteten seinen Einsatz und sein Wesen mit wachsendem Wohlwollen. Walram nahm weiterhin seine Aufgaben in der Überwachung der Produktion und der Ausbildung der Arbeiter wahr. Nebenher baute Franziska die Knopfmanufaktur auf den gräflichen Gütern auf. Sie fuhr zweimal wöchentlich persönlich auf den ehemaligen Pachthof Meynhards, den dieser als Standort ausgewählt hatte und überwachte jeden wichtigen Schritt des Umbaus und der Einrichtung der Gebäude. Wernher, der ältere Bruder Trudberts, hatte sich als ihre rechte Hand und Stellvertreter angeboten und Franziska nahm sein Angebot gern an. Der Mann war bereits mit seinen Siebensachen und seiner jungen Frau auf den Hof gezogen und legte größten Ehrgeiz daran, Franziskas Planungen in die Tat umzusetzen.
Die Manufaktur sollte so erfolgversprechend wie nur möglich arbeiten, deshalb hatte Franziska auch den Plan entwickelt, nicht in der Stadt unter dem strengen Blick der Zunft tätig zu werden, die ihnen bei jeder Gelegenheit einen ihrer Meister vor die Nase setzen konnte, sondern in der weitgehenden Autonomie eines gräflichen Großbetriebs und entsprechender räumlicher Entfernung zu Nürnberg. Wenn alles gut ging, würde sich aus der angeworbenen Arbeiterschaft, die zunächst noch in einer Scheune wohnte, rasch eine kleine Siedlungsgemeinde entwickeln, was Meynhard mit Interesse und großem Wohlwollen betrachtete.
In dem Betrieb sollten verschiedene Gruppen arbeiten, die sich selbst kontrollierten und ihre Ziele und Arbeitsschritte mit Wernher absprachen, der die Aufsicht übernehmen sollte. Franziska überlegte sehr genau, welche Fähigkeiten die ersten Arbeiter, die sie anstellen wollte, mitbringen mussten. Sie benötigte einige starke und zuverlässige Männer zum Transport der Materialien, die von allen Ecken und Enden des Lehens herangeschafft werden sollten. Diese waren recht leicht zu finden, es gab genug Knechte oder ungelernte Tagelöhner, die sich nach einer festen Stellung sehnten und sich Mühe gaben, einem guten Dienstherrn zu gefallen. Zu Franziskas Erleichterung gab es zudem zahlreiche Männer, die mit großem Geschick Holz schnitzen konnten, und mit etwas Übung lernten einige von ihnen rasch, Horn zu bearbeiten, das spröder und härter war. Junge Frauen mit ihren geschickten flinken Händen saßen in einem eigenen Raum und bohrten die kleinen Löcher und schliffen und färbten die Rohlinge. Bereits nach wenigen Tagen waren die ersten Knöpfe fertig, und nach nur zwei Wochen produzierten die angelernten Kräfte in hoher Geschwindigkeit und der von Franziska geforderten Güte. Wernher verstand sich auf die Führung der Menschen, und der Start der Manufaktur verlief zu aller Freude erfolgreich.
Die meisten Knöpfe wurden von den Nürnberger Schneidern benötigt. Wollte Franziska ihren großen Plan tatsächlich verwirklichen, musste sie noch mehr Leute anstellen und das Arbeitstempo steigern. Viele Menschen zogen auf der Suche nach Arbeit durchs Land und wurden auch bei Franziska vorstellig. Sie war erschreckt, wie viele kleine und beängstigend magere Kinder darunter waren. Nicht alle von ihnen waren mit ihren Eltern unterwegs, sondern kamen aus den Findelhäusern, die stets überfüllt waren und in denen nicht nur Waisenkinder, sondern auch die Neugeborenen armer Frauen notdürftige Unterkunft für die ersten Lebensjahre fanden. Nach diesen Jahren gab es in den Häusern keinen Platz mehr für sie, und den armen Würmern blieb oft nichts anderes übrig, als sich herumziehenden Gruppen anzuschließen. Wenn sie Glück hatten, gerieten sie an ehrliche Männer und Frauen und wurden nicht von Gaunerbanden zu Diebstahl oder Prostitution missbraucht. Franziska hatte um das Elend der Elternlosen gewusst, doch selten solche Kinder aus nächster Nähe und mit eigenen Augen gesehen.So mancher kleine Vagabund, der plötzlich auf dem Hof stand, war schon mit fünf oder sechs Jahren auf sich selbst gestellt. Auch diese Kinder erhielten leichte Arbeit und ein wenig Lohn, doch was noch viel wichtiger war, ein Zuhause, ausreichende Ernährung und Menschen, die sich um sie sorgten und denen ihr Wohlergehen am Herzen lag.
Meynhard witterte die Chance, durch den Knopfbetrieb anhaltenden Erfolg in seine gräfliche Wirtschaft zu bringen,
Weitere Kostenlose Bücher