Die Knopfmacherin
sobald das Herdfeuer erloschen war.
Aufgeschreckt von dem Geräusch ihrer Schritte kläffte ein Hund hinter ihr her. Melisande erschrak und wich nur knapp einem Misthaufen aus, der neben einem Haus dampfte. Dabei trat sie in eine Pfütze, die ihr die Schienbeine und den Rock nässte. Leise schimpfend setzte sie ihren Weg fort.
Obwohl die Stadt seit anno 1371 Sitz der Speyrer Fürstbischöfe war, konnte man sie nicht prächtig nennen. Ludwig von Helmstatt verwendete seine Einkünfte lieber für den Bau neuer Kirchen. Die Udenheimer hingegen waren gezwungen, ihr sauer verdientes Geld zweimal umzudrehen – besonders jetzt, da die Pest vor den Toren vieler Städte stand.
Den Fürstbischof schien all das nicht zu interessieren. Erst vor kurzem hatte Ludwig von Helmstatt in Bruchsal die prächtige Liebfrauenkirche errichtet und plante weitere kostspielige Bauten, die er mit den Abgaben der Bauern und Stadtbewohner finanzierte. Dazu gehörte den Gerüchten nach auch eine Festung. Melisandes Vater vermutete, dass der Bischof die Festung nur deshalb errichten wollte, weil er Angst vor den Bauernhorden hatte, die seit einiger Zeit die Gegend unsicher machten. Wilde Geschichten kursierten in Udenheim und vertrieben für eine Weile die Angst vor der Pest, die erst kürzlich in Speyer gewütet hatte. Wo sie konnten, griffen die Bauern Adelige und Kirchenfürsten an und beschuldigten sie der Untreue gegenüber dem Christentum.
Erschaudernd schüttelte Melisande diese Gedanken ab, als sie den Marktplatz erreichte, wo auch das Haus des Apothekers stand. Der zweistöckige Bau wirkte etwas schief, und Kalk rieselte vom Fachwerk herunter. Die benachbarte Linde reckte ihre Äste bedrohlich nahe an die Butzenscheiben im Erker.
Melisande wurde immer dann hierher geschickt, wenn ihre Mutter eine Arznei benötigte, die die Kräuterfrauen auf dem Markt nicht feilboten. Die brummige Art von Meister Colenius hatte sie als Kind ein wenig geängstigt. Mit den Jahren war es um seine Laune nicht besser bestellt. Melisandes Magen rumorte beim Gedanken an seine Reaktion auf ihr Erscheinen.
Der trübe Lichtschein aus dem Fenster der Defektur zeigte an, dass sich der Apotheker noch nicht zu Bett begeben hatte. Also nahm sie allen Mut zusammen und klopfte gegen die schwere Eichentür. Es dauerte eine Weile, bis die schlurfenden Schritte des Meisters zu hören waren. Etwas Unverständliches brummend schob er schließlich den Riegel zurück.
»Was gibt es, das nicht auch bis morgen Zeit hätte?«, fuhr er Melisande an, die sogleich ein Stück zurückwich.
»Meine Mutter schickt mich, sie benötigt Eure Wundsalbe und Kräuter gegen das Fieber.«
Colenius musterte sie weiterhin finster.
Auf einmal wünschte sich Melisande, ihre Mutter hätte sie zum Kräuterweib geschickt. Doch die Stadttore waren um diese Zeit bereits verschlossen.
»Nun gut, komm rein, aber dass du mir ja nichts anfasst!«
Der dunkle Apothekenraum jagte Melisande einen eisigen Schauder über den Rücken. Neben den tönernen und hölzernen Gefäßen für Arzneien und Zutaten bewahrte Colenius auch getrocknete Vogelkrallen, Fledermausflügel und ausgestopfte Tiere auf. Einige Präparate wirkten wie Ungeheuer aus den Geschichten, die ihre Mutter ihnen früher erzählt hatte.
»Hat deine Mutter dir auch Geld mitgegeben, oder soll ich’s anschreiben?«
Das Mädchen riss sich von den ausgestopften Ungeheuern los und zog ein Geldstück aus dem mitgeführten Beutelchen.
Der Apotheker biss hinein, dann schloss er brummend die Hand darum und verschwand in der Kammer, in der er die fertigen Arzneien aufbewahrte.
Melisande wandte sich ein Stück vor zu der großen Messingwaage, deren Schalen im Kerzenlicht glänzten. Davor standen einige Tiegel mit einem roten Pulver. Abrieb von Kirchenziegeln, denen nachgesagt wurde, vor der Pest zu schützen.
Gibt es bereits Kranke, oder will sich der Apotheker nur schützen?, fragte sie sich. Sie trat an den Wiegetisch und steckte einen Finger in den Tiegel. Wenn sich die Pest tatsächlich näherte, wäre es doch gut, wenn sie für ihre Familie …
»So, da haben wir deine Arznei!«
Das Mädchen zuckte zusammen und wirbelte herum. Colenius war wie ein Geist hinter ihr aufgetaucht. Hat er gesehen, dass ich nach den Tiegeln greifen wollte?, fragte sie sich. Rasch verbarg sie den rot gefärbten Finger hinter dem Rücken.
»Sag deiner Mutter, dass sie sparsam damit umgehen soll. Ich werde erst in der nächsten Woche neue Salbe zubereiten
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