Die Knopfmacherin
ich dir Beine.«
»Mir würde nie in den Sinn kommen, Euch auf den Arm zu nehmen«, entgegnete Melisande flehend. »Doch als Wächter seht Ihr viele Menschen hier in Speyer, und dieser Knopf gehört allem Anschein nach jemandem aus dieser Stadt.«
Der Wächter brummte etwas, dann richtete er den Blick wieder geradeaus.
»Zeig ihn mir mal!«, rief da der andere Wächter.
Sofort eilte Melisande zur gegenüberliegenden Torseite.
Der Mann betrachtete den Knopf eine Weile, dann schüttelte er den Kopf. »Solch einen habe ich noch nie gesehen, aber wenn du dir sicher bist, dass er einem Bürger aus Speyer gehört, solltest du zu Aloisius Ringhand gehen, dem Goldknopfmacher.«
»Wo kann ich den Herrn finden?«
»Folge der Gasse neben dem Dom, bis du zum Marktplatz kommst. Seine Werkstatt ist nicht zu übersehen. Es ist eines der größten Häuser in der Straße.«
Melisande bedankte sich und trat durch den Torbogen.
In der Gasse, die sich dem Tor anschloss, stieß sie auf etliche leerstehende Häuser, deren Türen mit einem roten Kreuz gezeichnet waren. Während einige davon noch gut zu erkennen waren, waren andere bereits verblichen.
Pestkreuze, dachte Melisande erschaudernd. Indem sie den Urinpfützen auswich, die im Sonnenlicht glitzerten, folgte sie der kleinen Gasse und bog dann rechts ab. Die Spitzen des Doms konnte sie von hier aus zwar schon sehen, doch bis zu der Straße, die der Wächter ihr genannt hatte, war es noch ein weiter Weg.
Nachdem zunächst nur Schweine und Hühner ihren Weg gekreuzt hatten, kamen ihr irgendwann auch Leute entgegen. Auf ihre Frage nach dem Weg zum Dom reagierten einige ablehnend, andere mürrisch, aber schließlich gelangte sie an eine Frau, die ihr die Richtung weisen konnte.
Als sie ihren Weg fortsetzte, knurrte ihr Magen heftig, doch Melisande ignorierte es und hielt unterwegs Ausschau nach ihrer Schwester. Ob Alina hier irgendwo ist?, fragte sie sich. Mit ihrem leuchtend roten Haar müsste ich sie doch leicht finden!
Die Gasse, in die sie als Nächstes einbog, war sehr belebt. Zwischen den Menschen zwängten sich Reiter hindurch, hin und wieder holte einer mit der Gerte aus und zog sie über den Rücken eines Straßenjungen, der nicht schnell genug beiseitegehen konnte.
Melisande blickte zu den Reitern auf. Auch diese Männer ähnelten Alinas Entführern nicht. Die Knöpfe, mit denen ihre Wämse verschlossen waren, waren eindeutig aus Horn, wie sie erkennen konnte, als sie dicht an ihr vorüberzogen.
Da es in dem Gedränge zwecklos war, irgendjemanden zu fragen, sah sie zu, dass sie so schnell wie möglich durch die Menschenmenge kam.
Plötzlich hob Glockengeläut über Melisande an und sie erschrak. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie dem Dom schon ganz nahe war. Sie blickte auf und fühlte die Glockenschläge in ihrer Brust. Ein paar Tauben flatterten aus dem Turm auf in den blauen Mittagshimmel, bevor sie sich auf Hausdächern in der Nähe niederließen.
Nachdem der zwölfte Schlag verklungen war, fand sich Melisande auf dem Marktplatz wieder. Offenbar war gerade Markttag, denn der Platz barst regelrecht vor Ständen, an denen die unterschiedlichsten Waren feilgeboten wurden. Der Gestank nach verbranntem Horn mischte sich mit dem Geruch von Fisch und dem betörenden Duft von frischem Brot.
Melisandes Hunger wurde auf einmal so unerträglich, dass sie bereit war, ein paar Heller für etwas Essbares auszugeben. Sie kaufte sich an einem der Stände eine Pastete und an einem anderen einen Apfel. Beides verzehrte sie gierig und setzte dann ihren Weg fort.
Es stellte sich schon bald heraus, dass die Wegbeschreibung vager war, als Melisande vermutet hätte. Obwohl sie alle Straßen in der Nähe des Doms abgelaufen hatte, war sie nicht fündig geworden. Mittlerweile war es schon später Nachmittag. Die Sonne, die sich hinter den grauen Wolken verbarg, die inzwischen den Himmel bedeckten, neigte sich dem Horizont zu. Erschöpft ließ sich Melisande auf eine kleine Steinmauer sinken, die teilweise von Moos überwuchert war. Mittlerweile bezweifelte sie, dass es in dieser Stadt überhaupt einen Knopfmacher gab. Vielleicht hatte der Wächter, den sie gefragt hatte, sie auf den Arm genommen.
Nachdem der Schmerz in ihren Füßen etwas nachgelassen hatte, stand das Mädchen wieder auf. Die Spitzen des Doms erhoben sich hinter ihr in einen sich rötenden Himmel. Melisande wandte sich um, schulterte ihr Bündel und ging in Richtung Gotteshaus zurück.
Sie bog in die nächste
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