Die Knopfmacherin
Knie sinken und sprach das Vaterunser, diesmal nicht fünfmal, sondern für jeden der getöteten Männer eines. Die Krähen umflatterten ihn dabei und sangen den Toten ein Grablied.
Als er fertig war, bekreuzigte er sich und stand auf. So viele Leben sinnlos vergeudet. So viele gute Anführer verloren.
Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich in jener Nacht gefallen wäre, überlegte er. Dann ballte er die Fäuste. Nein, es ist gut, dass ich noch am Leben bin. Ich werde nicht aufgeben. Fürs Erste mögen wir verloren haben, aber bald werde ich erneut Männer um mich scharen, und dann werden wir siegreich sein.
Mit zusammengepressten Lippen zwang er sich, jedem Toten ins Gesicht zu schauen, und wiederholte dabei leise sein Versprechen. Bevor er es erfüllen konnte, musste er allerdings erst einmal die Schuld begleichen, die er sich gegenüber Melisande Bruckner aufgeladen hatte.
Noch einmal blickte er sich nach den aufgespießten Köpfen um, dann wandte er sich gen Norden, nach Speyer, wo er schon bald die Landwehr ausmachen konnte. Als er die Stadt schließlich erreichte, sank die Sonne bereits dem Horizont entgegen. Unterwegs hatte Joß sich über einer Regenpfütze die Haare mit dem Messer geschnitten, das er einem Bauern abschwatzen konnte. Die Ecken über der Stirn hatte er sogar ausrasiert, um älter zu wirken, als er eigentlich war. Die Stoppeln am Kinn hatte er stehen lassen; nicht mehr lange und ein stattlicher Vollbart würde seine Züge verbergen.
Obwohl er sicher war, dass selbst diejenigen, die näher mit ihm zu tun hatten, ihn nicht wiedererkennen würden, war er nervös, als er sich den Wächtern näherte. Die beiden Männer wirkten müde und gleichgültig, aber Joß wusste aus eigener Erfahrung, dass ihre Sinne dennoch hellwach waren. Ein erster Impuls hätte ihn beinahe dazu gebracht, seine Gugel überzustülpen, doch das hätte die Männer gewiss argwöhnisch gemacht. Also verzichtete er darauf und betete im Stillen, dass sie seine Ankunft ignorierten.
Manches hatte sich in Speyer geändert. Viele Häuser standen leer, denn die Pest hatte etliche Stadtbewohner in die Arme des Todes geschickt. Der Dom jedoch wirkte prachtvoll wie eh und je. Der Anblick des Gotteshauses ließ in Joß den altbekannten Groll wieder aufsteigen, aber er drängte ihn zurück. Es war nicht an der Zeit. Hier hatte er etwas anderes zu tun.
Auf seinen Wanderstock gestützt, stapfte er durch die Mauergasse. Die Leute, die ihm entgegenkamen, nahmen kaum Notiz von ihm, trotzdem schweifte sein Blick wachsam in jede Ecke, als vermutete er überall die Spitzel des Bischofs. Meist erblickte er dort bloß Bettler, die auf ein Almosen hofften oder sich einfach nur eine Ecke zum Schlafen gesucht hatten.
Ob der alte Petrus noch lebt?, fragte er sich.
Der Mann, einst ein Freund seines Vaters, hatte in der Stadt einst ein Wirtshaus betrieben. In dessen Schankstube hatte Joß Fritz Gedanken gewälzt und Ideen ausgebrütet. Hier war ihm zum ersten Mal die Idee des Pfeiferhannes begegnet, und begeistert hatte er sich geschworen, endlich zu Ende zu bringen, was dieser Mann begonnen hatte. Das Wirtshaus gehörte längst einem anderen Besitzer, denn Petrus hatte weder Weib noch Kinder gehabt. Dank des Sümmchens, das er für den Verkauf bekommen hatte, hatte sich Petrus Wagemeier zur Ruhe setzen können.
Nachdem Joß weitere mit Pestkreuzen gekennzeichnete Türen passiert hatte, mündete die schmale Gasse in eine etwas breitere.
Die Häuser hier hatten nichts von dem Glanz der Patrizier- und Bürgerhäuser rings um den Dom, doch im Gegensatz zu den verfallenen Hütten wirkten sie geradezu prachtvoll. Während die Krähen über seinem Kopf krächzten und die Erinnerung an die abgeschlagenen Köpfe wachriefen, stapfte er die Straße hinauf. Vor einem schlichten Fachwerkhaus mit schwarz bemalten Fensterläden machte er halt.
Eine rotgestromte Katze hatte es sich auf einem Fenstersims bequem gemacht. Sie musterte Joß träge, legte dann eine Pfote über die andere und wandte sich ab.
Der Aufständische blickte zur Hausfront hinauf, von der hier und da etwas Lehm rieselte. Dann hämmerte er mit der Faust gegen die Tür und lauschte.
Stille folgte auf das Echo seines Klopfens. Ist Petrus vielleicht in der Stadt unterwegs?, überlegte er.
Just als er schon umkehren wollte, vernahm er schwere, schlurfende Schritte. Es klang, als tastete der Hausbewohner den Boden nach Unebenheiten ab. Als der Riegel zurückgeschoben wurde, trat Joß
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