Die Knopfmacherin
»Glaubst du, die Arbeit erledigt sich von alleine?«
Alina schüttelte den Kopf. Dem prüfenden Blick der Wirtin wich sie aus. Hatte der Wächter doch etwas mitbekommen und ihr Bescheid gegeben?
»Du siehst blass aus.«
Die Worte gingen Alina durch Mark und Bein. »Mir fehlt nichts«, gab sie leise zurück.
Die Wirtin packte sie am Kinn und hob grob ihren Kopf an.
Gibt es äußerliche Anzeichen für eine Blutung?, fragte sich Alina panisch, während sie sich zur Ruhe zwang. An Melisande war ihr jedenfalls nie etwas aufgefallen.
»Dass du mir ja nicht die Pest ins Haus schleppst«, schnarrte die Wirtin erneut, dann ließ sie das Mädchen wieder los. »Beim ersten Anzeichen irgendwelcher Beulen sagst du mir sofort Bescheid, verstanden?«
Alina nickte folgsam. Doch als sich die Wirtin endlich umwandte und durch den langen Flur verschwand, dachte sie zornig: Wenn ich die Pest hätte, würde ich dafür sorgen, dass du sie auch bekommst.
19. Kapitel
Raureif glitzerte im ersten Morgenlicht auf den Dächern von Speyer, als Melisande sich erhob. In ihrer Kammer war es über Nacht empfindlich kalt geworden. So kalt, dass der Atem vor ihrem Mund zu einer kleinen Wolke gefror. Kam der Winter so schnell?
Widerstrebend verließ Melisande ihre Schlafstelle. Die Kälte biss ihr in den Leib, als sie vor die Wasserschüssel trat. Das Wasser im Krug war mit einer dünnen Eisschicht bedeckt, die das Mädchen vorsichtig mit den Fingern durchbrach. Als sie das Gesicht mit dem eisigen Wasser nässte, fühlte es sich an, als würde jemand ihr mit einem Dolch in die Wangen schneiden. Wehmütig dachte Melisande an ihr Zuhause zurück. Da sich die Kammern der Schwestern im unteren Stock des Hauses befanden, war die Wärme des Feuers, das ihre Mutter in der Esse entzündet hatte, immer recht schnell zu ihnen gedrungen. Hier oben am Giebel strömte bestenfalls eisige Luft durch den Fensterladen.
Manchmal waren Alina und sie im Winter zusammen unter die Decke gekrochen und hatten sich gegenseitig gewärmt. Die Erinnerung daran versetzte Melisande einen schmerzhaften Stich in der Brust. Noch immer hatte sie ihre Schwester nicht gefunden. Der milde Herbst mit den noch lichten Sonnentagen war trübem Novemberwetter gewichen, das Nebel über die Felder und durch die Straßen kriechen ließ.
Mittlerweile mehrten sich Melisandes Zweifel, dass Alina überhaupt noch am Leben war. Egal in welche Schenke sie schlich und wen sie fragte, niemand hatte ihre Schwester gesehen. Genauso erging es Bernhard, der sie nach Kräften bei der Suche unterstützte. Keiner der Burschen, die er kannte, wollte Alina gesehen haben. Dass er nachgefragt hatte, erkannte Melisande daran, dass er jedes Mal mit hängendem Kopf heimkam und sie entschuldigend ansah.
Doch heute hinderte sie die Kälte daran, ihren Gedanken länger nachzuhängen. Rasch schlüpfte sie in ihr Kleid und lief dann die Treppe hinunter. In der Küche flackerte bereits ein munteres Feuer, während Grete damit beschäftigt war, die Morgengrütze zuzubereiten.
»Dich hat wohl Gevatter Frost aus dem Bett getrieben, wie?«, begrüßte sie Melisande, dann lächelte sie gütig. »Komm ans Feuer, siehst ja ganz erfroren aus.«
Melisande trat näher, dann streckte sie die Hände den lodernden Flammen entgegen.
»Vielleicht solltest du den Meister bitten, dir ein Wildschweinfell zu geben. Die Nächte werden nicht wärmer, und wenn man meinen schmerzenden Knöcheln glauben kann, steht uns ein harter Winter bevor.«
Melisande hatte schon bemerkt, dass Gretes Beine oftmals geschwollen waren. Wenn sie die Zeit fand, nahm sie der Haushälterin ein paar Wege ab, damit diese sich hinsetzen und ihre Beine ausruhen konnte.
»Seid gegrüßt, Grete!«, tönte es da von der Tür her.
Auch Bernhard hatte es offenbar nicht lange auf seinem Lager gehalten. Eine frische Röte lag auf seinen Wangen.
»Du siehst aus, als würdest du am liebsten ins Feuer hineinkriechen«, neckte er Melisande. »Vielleicht sollte ich dich ein wenig wärmen.«
»Solche Reden in meiner Küche!«, brauste Grete auf. »Dich sticht wohl der Hafer, Bursche!«
»Eher der Frost«, gab Bernhard vorwitzig zurück. »Außerdem habt Ihr selbst bemerkt, dass Melisande beinahe zu einem Eisklumpen erstarrt ist. Ich will bloß nicht, dass sie krank wird.«
Als er Melisande zuzwinkerte, spürte sie, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. In den vergangenen Wochen waren sie und Bernhard zu guten Freunden geworden, und sie hatte festgestellt, dass
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