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Die Knopfmacherin

Die Knopfmacherin

Titel: Die Knopfmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Corinna Neuendorf
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den Weg zu geben. Nun denn, zähl ruhig nach, dein Meister wird sicher nicht enttäuscht sein.«
    Errötend öffnete Melisande das Beutelchen. Schon auf den ersten Blick sah sie, dass mehr als zwanzig Taler darin glänzten.
    »Aber …«
    Der Blick der Kaufmannsfrau ließ sie verstummen. »Unsere Familie schätzt deinen Meister sehr. Ich halte es stets so, dass ich ihm mehr gebe, als er fordert.« Ein vielsagendes Lächeln huschte über das Gesicht der Frau. Wahrscheinlich wusste Meister Ringhand das ganz genau und wollte Melisande nun auf die Probe stellen.
    Das Mädchen zog den Beutel wieder zu. »Das werde ich ihm genau so ausrichten. Habt vielen Dank, gnädige Frau.«
    Damit knickste sie und verabschiedete sich. Nachdem sie den Beutel unter ihrer Kleidung verborgen hatte, trat sie ins Freie. Inzwischen hatte die Sonne die Wolken durchdrungen und tauchte die Straßen in mattgelbes Licht.
    Melisande sah sich kurz um, dann trat sie den Rückweg an. Inzwischen war auf der Straße mehr los. Laufburschen eilten mit Taschen oder Futteralen an ihr vorbei, Frauen strebten mit Körben unter dem Arm dem Marktplatz zu. Indem sie den Schmutzpfützen auf dem Boden auswich, schlängelte sie sich an ein paar Frauen und Männern vorbei, die stehen geblieben waren, um einen kleinen Plausch zu halten. Dabei rempelte sie gegen einen Mann, der mit gesenktem Kopf ebenfalls an der Gruppe vorüberging.
    »Verzeiht«, rief sie, denn sie hatte ihn nicht gesehen, da er von der Seite kam.
    Der Fremde erwiderte nichts darauf, sondern ging weiter, als hätte er weder den Rempler gespürt noch ihre Worte vernommen.
    Melisande erstarrte, als sie zu ihm aufsah. Der Mann mit dem dunklen Mantel und der verschlissenen Gugel hatte große Ähnlichkeit mit der Gestalt, die ihr neben der Kirche aufgelauert hatte.
    War Joß Fritz etwa in der Stadt? Als sie den Hals reckte, um ihn noch einmal anzusehen, war er allerdings schon verschwunden.
    Melisande vertrieb das Bild und die Erinnerung an den Aufständischen mit einem Kopfschütteln. Wahrscheinlich sehe ich schon Gespenster. Was könnte Joß Fritz hier in Speyer wollen? Sicher ist er schon über alle Berge und denkt nicht mehr an das, was er angerichtet hat.
    »Hast du keine Augen im Kopf, Mädchen?«, fauchte eine Stimme von der Seite.
    Als Melisande erschrocken herumwirbelte, erblickte sie eine Frau, die mit einem vollen Weidenkorb an ihr vorbei wollte. Um ein Haar hätte das Mädchen die Kohlköpfe, die obenauf lagen, mit sich gerissen.
    Indem sie eine Entschuldigung murmelte, zog sich Melisande zurück. Ich sollte zusehen, dass ich zur Werkstatt zurückkomme, ehe ich noch Schaden anrichte.
    Sie kämpfte sich vor bis zu einer Stelle, an der weniger Gedränge herrschte, dann huschte sie in eine Seitengasse. Ein Schwein, das ihr dort entgegenkam, grunzte protestierend, wich ihr aber aus und eilte an ihr vorbei. Zunächst war sie froh darüber, dass sie einen ruhigeren Weg eingeschlagen hatte, doch als sie zu den Gebäuden aufsah, überkam sie plötzlich ein klammes Gefühl.
    Diesen Teil der Stadt kannte sie noch nicht. Von den Häusern hier standen viele leer.
    »Von diesem Ort verschwinde mal lieber schnell«, mahnte unvermittelt eine Stimme hinter ihr.
    Den Bettler, der neben einem Hauseingang lungerte, hatte sie gar nicht bemerkt. Was suchte er hier? Gab es keine besseren Orte zum Sammeln von Almosen als diese verlassene Straße?
    »Was ist denn damit?«, fragte Melisande, während ihr Blick zwischen der zerlumpten Gestalt und den zugenagelten Fensterläden hin- und herschweifte.
    »Er ist verflucht. Hast du noch nie etwas vom Judenhof gehört?«
    Melisande schüttelte den Kopf.
    »Vor einigen Jahren hat es hier ein paar ganz grässliche Morde gegeben, dem viele Juden zum Opfer gefallen sind. Jene, die es überlebt haben, sind davongezogen. Es heißt, dass es in ganz Speyer keinen einzigen Juden mehr gibt.«
    Melisande überlief ein Schauder. Obgleich sie von den Juden nicht mehr wusste als das, was ihr der Vater erzählt hatte, bedauerte sie das Schicksal dieser Menschen. Erst recht, da ihre Eltern ebenfalls ungerechtfertigt ermordet worden waren.
    »Die Geister der Juden schleichen nachts durch die Straßen, auf der Suche nach ihrem Heiligen Buch, das bei dem Pogrom vernichtet worden sein soll. Wer ihnen begegnet, dem bringen sie Tod und Verderben.«
    Für einen kurzen Moment fragte sich Melisande, ob die seltsame Geschichte des Mannes tatsächlich stimmen konnte. Dann schüttelte sie den Kopf.

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