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Die Köchin und der Kardinal

Die Köchin und der Kardinal

Titel: Die Köchin und der Kardinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa S. Lotz
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misslichen Lage wieder herauskommen könnten. Weil ihr schließlich vor Langeweile die Decke auf den Kopf fiel, bat Elisabeth den Mönch um etwas zum Lesen. Er brachte ihr eine Bibel, aber die war auf Latein geschrieben. Dann fiel ihr ein, dass sie ja deutsch geschriebene Bücher bei sich hatte. Immer, wenn sie sich sicher war, dass niemand kommen und sie stören würde, las sie mit roten Ohren in den Schriften, die der Kardinal ihr anvertraut hatte. Wenn ihr die Lektüre zu anstrengend wurde, nahm sie sich das Kochbuch der Anna Wecker vor und lernte immer noch hinzu.
    Der Silvesterabend des Jahres 1634 war gekommen. Es herrschte weiterhin eine bittere Kälte, nur manchmal tanzten ein paar Flocken Schnee vom Himmel. Erfrorene und verhungerte Vögel lagen am Boden. Die Bäume auf den Rheininseln waren mit Raureif bedeckt. Alle Welt schien den Atem anzuhalten, es war wie die Ruhe vor dem Sturm. Mit dem zwölften Glockenschlag– beide Schwestern schauten gerade aus dem Fenster – blitzte weit drüben hinter dem anderen Rheinufer ein Feuerschein auf, ihm folgte ein lauter Knall, der die Bäume am Ufer erzittern ließ. Elisabeths Herz begann heftig zu klopfen.
    »Ich glaube, sie greifen an!«, rief sie Agnes zu. Obwohl sie wusste, dass es gefährlich werden könnte, blieb sie am Fenster stehen. Dem Feuerschein und dem Knall folgten ebensolche in der Stadt. Elisabeth merkte, dass zur Begrüßung des neuen Jahres Schwarzpulver gezündet worden war. Es ging noch eine ganze Weile weiter, Schreie und Johlen von Betrunkenen waren zu hören. Schließlich war der ganze Spuk auf einmal vorbei, und die Nacht legte ihr dunkles Tuch über Stadt, Ebene und Berge. Die Tage vergingen in schleppender Eintönigkeit. Es wurde immer noch kälter. Ein eisiger Wind blies, rüttelte am Fensterladen und brachte fast die Kohlen zum Erlöschen. Es war die Zeit der Raunächte und des Wodan, der mit seiner Wilden Jagd durch die Lande brauste. Schon als Kinder hatten sie und Agnes sich vor dieser Jagd gefürchtet, denn es hieß, wer nicht fromm und gottesfürchtig sei und ihnen in den Weg komme, würde von ihnen mitgenommen werden. Die Bauern, Handwerker und Bürger der Stadt hatten in dieser Zeit immer Gaben vor ihre Häuser gelegt, einen Schweinebraten, eine gerupfte Gans, Getreide und Wäsche, um die Unholde gnädig zu stimmen.
    Eines Nachts im Januar erwachte Elisabeth von einem hohen Summen in der Luft. Sie sprang aus dem Bett und lief zum Fenster. Was sie sah, ließ ihr den Atem stocken. Eine riesige Schar von leuchtenden Punkten bewegte sich auf den Rhein zu, wurde immer schneller. Das Summen schwoll zu einem Brüllen an, es kam aus Tausenden von Kehlen, die direkt auf sie zuhielten, um sie zu holen und in den Abgrund zu reißen.
    »Hilfe!«, schrie Elisabeth aus Leibeskräften. »Hilfe, so helft uns doch, wir werden alle sterben!«
    Im Schein der Fackeln glänzte ein unendlicher Wald vonPiken auf, die sich bedrohlich und unaufhaltsam näherten. Dahinter vernahm Elisabeth das Donnern unzähliger Hufe. Gewehrsalven krachten, eine Kanone wurde gezündet, die ganze Stadt erbebte, es krachte wie in den hintersten Kreisen der Hölle. Elisabeth begriff, dass es nicht das Wilde Heer war, sondern das der Kaiserlichen, deren Angriff schon lange erwartet wurde. Eine zweite Kanone ging los, es krachte ohrenbetäubend, ein Loch war in die Mauer geschossen worden. Die Stadt wurde von heiseren Rufen, angstvollen Schreien und Befehlen erfüllt. Die Kanonen von Speyer antworteten dem habsburgischen Heer. Elisabeth musste Jakob ein Zeichen geben! Sie öffnete in fieberhafter Eile die Truhe, die am Fenster stand, und zerrte ein weißes Leintuch heraus. Sie hielt es aus dem Fenster und schwenkte es langsam hin und her.
    »Bist du verrückt geworden?«, herrschte Agnes sie an. »Willst du ihnen etwa zu verstehen geben, dass wir uns ihnen ausliefern wollen?«
    Elisabeth hatte das nicht bedacht. Sie zog das Leintuch wieder zurück und legte es in die Truhe. Sicherheitshalber setzte sie sich darauf, falls die Söldner die Bischofspfalz stürmen sollten. Wieder spähte sie zum Fenster hinaus. Die Kaiserlichen griffen nicht etwa die Rheinbrücke an, sondern sie kamen über den Rhein, zu Fuß, zu Pferde, mit Wagen, Kanonen und Musketen, Spießen und Piken, Schwertern und Dolchen. Denn der Fluss war in der Kälte inzwischen zugefroren. Und dahinter wälzte sich der Tross auf die Stadt zu, wie ein Lindwurm, der zur Tränke kroch. Elisabeth hatte sich ins Bett

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