Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
hindurchbrechen und sie packen würde.
Doch der Angriff blieb aus – und im nächsten Moment entfernte sich der Flügelschlag wieder.
Das Rauschen wurde leiser und leiser, bis schließlich nur noch beklommene Stille blieb, einzig das Wimmern des Kindes war noch zu hören, das sich Schutz suchend in Balboks Armbeuge drängte. »Armer Wurmling«, meinte er und schnalzte mitleidig mit der Zunge. »Hat das uchl-bhuurz dich erschreckt?«
»Nicht viel hätte gefehlt, und das Balg hätte uns verraten«, maulte Rammar. »Dass mir das ja nie wieder passiert, sonst geht’s euch beiden an den Kragen!«
»Was war das gerade?«, fragte Balbok.
Rammar schüttelte den Kopf, noch immer argwöhnisch nach oben blickend. »Ich weiß es nicht, und ich möchte es auch nicht wissen. Aber wenn du mich fragst, dann sah es aus, als ob das Biest nach etwas suchen würde.«
»Aha.« Balbok schaute seinen Bruder fragend an. »Und wonach?«
Das Kind auf seinem Arm ließ einen jauchzenden Laut vernehmen. Balbok und Rammar blickten auf das kleine Menschenkind.
»Das wäre auch das erste Mal gewesen«, knurrte Rammar wütend, »dass wir mit Milchgesichtern zu tun haben und keinen Ärger bekommen. Wir hätten das Balg zurücklassen sollen – du wirst noch an meine Worte denken.«
6
U nter allen Orten auf dieser Welt hatte sich Dag keiner so eingeprägt wie dieser.
Zweimal war er hier gewesen, zweimal hatte er hier seine wiedergewonnene Freiheit begrüßt, und die Umgebung hatte sich ihm so deutlich ins Gedächtnis eingebrannt, dass er eine genaue Beschreibung davon hatte liefern können.
Die tiefe Schlucht, die ein Gebirgsbach im Lauf von Jahrtausenden in das Gestein des Berges geschnitten hatte und deren Grund von Geröll und Buschwerk überzogen war; der sichelförmige Ausschnitt Himmel, der zu sehen war, wenn man den Kopf in den Nacken legte; der Wasserlauf, der in unmittelbarer Nähe herabstürzte; die beiden hohen Tannen, die den Eingang der Schlucht säumten, als wollten sie ein natürliches Tor bilden; und schließlich der Spalt in der Felswand, der in Wahrheit die Mündung eines ebenso langen wie dunklen Tunnels war – eines Tunnels, der geradewegs nach Gorta Ruun führte.
Auch wenn Dag nun nichts mehr davon sehen konnte – seine Erinnerungen waren so intensiv, dass die Geräusche allein genügten, damit sich vor seinem inneren Auge Bilder einstellten. Er hörte das Rauschen der Kaskade, die jetzt im Frühjahr zu einem mächtigen Wasserfall angeschwollen war; das Ächzen der Bäume im Wind und den Schrei der Falken, die entlang der Felswände nach Beute suchten. Und den hämmernden Schlag seines eigenen Herzens.
Von allen Orten auf dieser Welt hatte er hierher am wenigsten zurückkehren wollen, doch ein Schicksal, das er selbst nicht zu begreifen vermochte, hatte es anders gewollt.
Er war wieder hier.
Und er hatte eine Mission zu erfüllen.
»Dag!« Terric kam angerannt, seine leichtfüßigen Schritte waren kaum zu hören. »Wir haben die Felsspalte gefunden, die du uns beschrieben hast. Es scheint sich tatsächlich um einen Tunnel zu handeln.«
Dag nickte. »Führt mich hin.«
Jemand packte ihn am Oberarm und zog ihn mit – dem beherzten Griff nach zu urteilen war es Ferghas, der kaum von seiner Seite wich, seit Alured die Gruppe verlassen hatte. Nachdem sie ein Stück weit durch raschelndes Gras gegangen waren, blieben sie stehen, und Dag streckte die Arme aus. Er fühlte nackten, schroffen Fels, einen scharfen Abbruch – und kühle, nach Moder riechende Luft, die ihm entgegenströmte.
»Das ist es«, bestätigte er. »Der Tunnel, durch den Aryanwen und ich damals entkommen sind. Und er scheint noch immer intakt zu sein.«
»Seltsam«, knurrte Ferghas. »Warum haben die Zwerge ihn nicht verschlossen?«
»Weil sie dazu erst einmal herausgefunden haben müssten, auf welche Weise wir ihnen damals entwischt sind«, beschied ihm Dag feixend. »Aber ganz offensichtlich ist ihnen das nicht gelungen.«
»Und das kommt dir nicht verdächtig vor?«
»Nicht unbedingt. Die Festung Gorta Ruun ist im Lauf von Jahrtausenden gewachsen. Es gibt keinen Zwerg, der von sich behaupten könnte, jeden einzelnen Winkel zu kennen, so weit verzweigt sind ihre Gänge und Stollen. Es gibt zahllose Höhlen und Gewölbe – und noch mehr Tunnel und Schächte, die diese mit Luft versorgen.«
»Na schön.« Ferghas schnaubte. »Versuchen wir also unser Glück. Ich schlage vor, dass ein Mann zurückbleibt, um den Eingang zu bewachen.
Weitere Kostenlose Bücher