Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
»Hier«, flüsterte sie.
Durch das hier fast hüfthohe Wasser watete Alured zu ihr. Seine Beinkleider hatten sich vollgesogen, nun war die stinkende Nässe bereits dabei, seinen Rock hinaufzukriechen. Doch den Gestank und die klamme Kälte nahm Alured kaum noch wahr. Seine ganze Aufmerksamkeit galt jetzt ihrer Mission.
Catriona deutete nach oben. Noch einen Moment lang warteten sie, vergewisserten sich, dass der Wagen nicht weiterfuhr. Dann packte Alured das Gitter und drückte es nach oben.
Einige Kraft war dazu nötig – Regen und Wind hatten Sand in die Fugen gespült, und die Sonne hatte ihn festgebacken, sodass sich das Gitter zunächst nicht lösen wollte. Dann jedoch bewegte es sich plötzlich. Alured hob es ein Stück weit an, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und spähte dann vorsichtig nach draußen.
Der Anblick war gespenstisch.
Sie befanden sich tatsächlich am Hafen, inmitten der gepflasterten Fläche, die sich zwischen der Kaimauer und den Gebäuden des Hafenviertels erstreckte. An gewöhnlichen Tagen mochten Händler hier ihre Waren feilbieten, jetzt war der Platz von Bewaffneten umgeben. Jeweils fünf Zwerge standen Axt an Axt, dann eine Kaldrone, die sich wie ein Wachturm in einer Mauer erhob, und so ging es weiter. Lediglich zur See hin, wo sich die Kais mit den vor Anker liegenden Schiffen befanden, war die Reihe unterbrochen – dafür waren hier Hunderte von Arbeitern damit beschäftigt, die Wagen, die Kaldronen und alles andere auf die Schiffe zu verladen. Über breite Laderampen wurden gepanzerte Karren emporgehievt, gelangten unruhig wiehernde Pferde ebenso an Bord wie kalt schnaubende Kaldronen.
Die Betriebsamkeit, die allenthalben herrschte, erinnerte Alured an das Drängen und Wimmeln der Ratten in den Kanälen. Auch die Zwerge erweckten den Eindruck, nicht wirklich Herr ihrer selbst, sondern einem fremden Willen unterworfen zu sein – so wie die Ratten ihrem Drang zum Überleben folgten, folgten die Zwerge ihrem König. Unermüdlich entluden sie ein um das andere Gefährt und verstauten die Ladung an Bord der Schiffe – keine leichten Handelssegler, wie sie normalerweise die Ostsee befuhren, um die starken Küstenwinde zu nutzen, sondern schwere Zwergengaleeren, die von Sklaven – vermutlich Menschen oder desertierte Ork-Söldner – gerudert wurden.
Von seinem Versteck aus konnte Alured erkennen, wie sich die Rümpfe der Schiffe immer tiefer ins Wasser senkten. Offenbar wurden die Galeeren bis zur Grenze ihrer Belastbarkeit beladen, und das nach einem genau festgelegten Plan. Unter den Blicken gestrenger Aufseher wanden sich endlos scheinende Kolonnen von Trägern zu den Schiffen und beluden sie mit Kisten, Fässern und anderem Material, bewacht von schwer bewaffneten Zwergenkriegern. Andere Zwerge unterdessen, die ihren vornehmen Gewändern zufolge dem Hofstaat angehörten, führten mit peinlicher Genauigkeit Buch; mit einer Akribie, wie sie wohl nur Zwerge aufzubringen vermochten, schien jeder einzelne Gegenstand, jeder Karren, jede Kiste und jedes Fass verzeichnet zu werden, fast wie bei einem Handelsschiff – mit dem Unterschied, dass hier schwere Kriegsschiffe beladen wurden und die Ladung ganz sicher nicht zum Verkauf stand.
»Was mag das nur bedeuten?«, fragte Catriona flüsternd, die sich zu Alured gesellt hatte und ebenfalls nach draußen spähte. Solange der Wagen über dem Gitter stand, brauchten sie wohl keine Entdeckung zu fürchten, zu geschäftig war das Treiben ringsumher. »Es stimmt also, Winmar und die Seinen stechen in See – aber mit welchem Ziel?«
»Ich weiß es nicht«, gab Alured grimmig zurück. »Aber wenn ich eines gelernt habe, dann dass Zwerge nie etwas ohne Grund tun. Ihre geringe Körpergröße und ihre Lebensweise unter Tage haben sie gelehrt, bei allem, was sie tun, möglichst effektiv zu sein. Wenn sie also solchen Aufwand betreiben, muss es sich um etwas sehr Wichtiges handeln.«
»Ich habe wenigstens dreißig Galeeren gezählt. Wenn wir nur wüssten, wohin all diese Schiffe fahren.«
»Das werden wir herausfinden, keine Sorge«, versicherte Alured, der insgeheim einen Entschluss gefasst hatte. »Ich werde mich an Bord eines der Schiffe schleichen.«
»Nein!«, stieß Catriona hervor, ihr Entsetzen war ehrlich. »Wenn sie dich finden …«
»Nur so bekommen wir Antworten auf unsere Fragen«, wandte Alured ein.
»Es muss auch noch einen anderen Weg geben! Wir könnten auch einen dieser kleinen Bastarde schnappen
Weitere Kostenlose Bücher