Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
Zufälle, winzige Unwägbarkeiten in der Maschinerie eines ansonsten vollkommenen Plans. Sie alle hatte die Stimme vorauszusehen versucht, hatte selbst das unstete Wesen der Sterblichen, ihren Wankelmut, ihren Kleingeist und ihre ständige Furcht vor allem Neuen und Unbekannten in ihre Erwägungen einbezogen – und dann den Stein ins Rollen gebracht.
Es war nur ein kleiner Stein gewesen, nur wenige Worte. Doch der Moment, in dem sie gefallen waren, und der Geist, zu dem sie gesprochen wurden, waren sorgfältig gewählt gewesen, und so hatten sich die Dinge zu ändern begonnen.
Schritt für Schritt.
Zu allmählich, als dass die Sterblichen es bemerkt hätten – im Augenblick eines Lidschlags für jemanden, der seine Existenz in Jahrtausenden maß.
Aus einem unbedeutenden Steinmetz war der Herrscher des größten Reiches geworden, das Erdwelt seit den Tagen der Elfen gesehen hatte, ein anfangs nur beschränkter Konflikt hatte nahezu die ganze Welt erfasst. Und eine auf den ersten Blick unscheinbare Entdeckung hatte die Art, wie Krieg geführt und Schlachten geschlagen wurden, für immer verändert.
All dies hatte die Stimme bewirkt, und stets war alles nach ihrem Plan verlaufen. Die Sterblichen hatten sich als zu schwach herausgestellt, um sich dem Wandel der Zeit entgegenzustellen, und so hatte sich alles zugunsten der Stimme entwickelt, und sie hatte beständig an Macht gewonnen.
Bislang.
Denn nun war eine Veränderung eingetreten.
Etwas Unvorhergesehenes war geschehen, etwas, das die Stimme nicht berücksichtigt hatte. Ein neues Element hatte ins Spiel gefunden – und dieses Element war Chaos.
Woher es kam, wusste die Stimme nicht zu sagen. Menschen waren dazu nicht in der Lage, ebenso wenig wie die Zwerge. Dennoch störte igendetwas, das von außen drang, ihre Pläne – denn die Orks, die die Stimme beauftragt hatte, das Kind zu rauben, waren mit ihrer Mission gescheitert.
Ihr Anführer war tot.
Das Kind war verschwunden.
Und damit war zum ersten Mal eine Entwicklung eingetreten, die die Stimme in dieser Form nicht vorhergesehen hatte. Wie all die Male zuvor hatte sie an den Fäden gezogen, hatte die Gier, den Neid und die Rachsucht der Sterblichen angestachelt und sie für sich arbeiten lassen – doch aus einem unerfindlichen Grund war ihr Plan diesmal nicht aufgegangen.
Sie rief nach den Schatten.
Das Kind musste gefunden werden, je rascher, desto besser, denn es gehörte zu ihren Plänen, war ein Teil davon, so wie sie alle ein Teil davon waren.
Der vom Irrsinn befallene Winmar.
Der von Neid zerfressene Vigor.
Der machtlüsterne Lavan.
Und selbst die widerspenstige Aryanwen.
6
S ie hatten die Hügellande erreicht.
Von den Bergen, die sich im Norden und Westen des rauen, aus gelbgrünen Wiesen und samtgrünen Wäldern bestehenden Landes wie eine gewaltige, schneegekrönte Mauer erhoben, blies den Reitern eisiger Wind entgegen. Was die Männer erblickten, als sie in Jubel und erleichtertes Gelächter verfielen, konnte Dag nur vermuten – er nahm an, dass es ein cestrog war –, eine jener Stammesburgen, die das Hochland übersäten und in denen die Clanlords Hof hielten, die mächtigen Oberhäupter der Sippen, die die Hügellande bevölkerten und von jeher ihren eigenen Gesetzen folgten.
Aus Erzählungen wusste Dag, dass diese Burgen nicht mit den steinernen Festungen zu vergleichen waren, die im zivilisierten Südwesten errichtet wurden. Bei den Hügelclans hatte der Fortschritt nur sehr zögerlich Einzug gehalten, und so frönten sie nicht nur weiterhin ihren Jahrhunderte alten Traditionen, sondern lebten auch wie einstmals in ihren Landstädten, von hohen Palisadenmauern umgebenen Siedlungen, deren Häuser zum größten Teil aus Holz bestanden. Mit einer Ausnahme: Der Turm des Häuptlings, der sich in der Mitte der Siedlung erhob und mit den Farben des Clans markiert war, war aus Steinen gemauert, die eigens von den Bergen herangeschafft wurden. In Friedenszeiten diente dieser Turm dem Clansherren als Residenz; in Kriegszeiten – und die Hügelstämme waren berüchtigt dafür, sich untereinander fortwährend blutige Fehden zu liefern –, nutzte der Stamm ihn als Zuflucht.
Die Streitsucht der Clanlords und ihr fast legendärer Starrsinn waren die Gründe dafür, dass ihre Zugehörigkeit zum Reich höchst wechselhafter Natur und meist nur von kurzer Dauer gewesen war. Unter Corwyns Herrschaft hatten sie sich Tirgaslan unterworfen, um sich schon wenig später wieder
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