Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
Ansgar einmal mehr in Erinnerung.
»Ja doch.« Winmar streifte den Alchemisten in seiner dunklen Robe mit einem wütenden Seitenblick. »Was weißt du schon? Was von den Erinnerungen, die mich mit diesem Ort verbinden? Was von den Gedanken, die ich zurücklasse?«
»Nichts«, gab der Alchemist, der die Arme so vor der Brust verschränkt hatte, dass die Hände in den Ärmeln verschwanden, unumwunden zu. »Aber ich weiß, dass der Tross zum Abmarsch bereitsteht. Und dass Ihr aufbrechen müsst, wenn die erste Etappe noch vor Einbruch der Dunkelheit bewältigt werden soll.«
Winmar sah in das graue Gesicht und die tief vergrabenen Augen. »Was weißt du schon?«, wiederholte er, noch immer nicht gewillt, sich von dem Anblick der leeren Halle und der Sieben Säulen loszureißen.
»Komm!«, erklang plötzlich eine Stimme, laut und mit vielfachem Widerhall, so als wäre sie tatsächlich in der Halle zu hören – doch Winmar war klar, dass nur er allein sie vernahm. Erschrocken zuckte er zusammen.
»Was habt Ihr, mein König?«, wollte Ansgar wissen. »Ist Euch nicht wohl?«
»Komm jetzt, mein Diener«, wiederholte die Stimme. »Die Zeit ist reif!«
In einem jähen Entschluss wandte sich Winmar ab, verließ Gorta Ruun, um von seinem neuen Herrschersitz aus sein Weltreich zu regieren. Doch während er durch die Halle zum Ausgang schritt, hatte er das Gefühl, dass die steinernen Blicke der alten Könige ihn verfolgten.
Stumm – und voller Anklage.
1
S ie waren auf dem Weg zu den Hügellanden.
Den Wald von Trowna hatten sie verlassen und folgten der alten Heeresstraße in nördöstlicher Richtung. Die Wunden, die der Krieg dem Land geschlagen hatte, waren noch immer deutlich zu sehen; Balbok und Rammar marschierten durch ein Niemandsland zerstörter Gehöfte und aufgelassener Äcker, und nur hier und dort fanden sich Anzeichen dafür, dass sich die Milchgesichter jemals wieder von diesem Konflikt erholen würden.
Ihr Proviant war aufgebraucht, die letzte Ration lag einige Stunden zurück, sodass ein beständiges Hungergefühl an Rammar nagte, das ihm ziemlich auf die Laune schlug. Und die Tatsache, dass sein Bruder es sich zur Marotte gemacht hatte, unentwegt mit dem kleinen Menschling zu sprechen, den er auf beiden Armen vor sich hertrug, trug auch nicht gerade zur Besserung seiner Stimmung bei.
»Siehst du?«, hörte er ihn sagen, während sie durch eine karge, topfebene Landschaft stampften, in der nur hin und wieder ein versprengter Busch oder Baum aufragte, »ist doch gar nicht so schlimm, oder? Jetzt ist es gar nicht mehr weit.«
»Musst du eigentlich ständig mit dem Balg quatschen?«, blaffte Rammar über die Schulter zurück.
»Nein, muss ich nicht«, antwortete Balbok schlicht, »aber die Kleine mag es. Nicht wahr? Das magst du, gell?«, fügte er mit albern hoher Stimme hinzu, die in Rammars misstrauischen Ohren verdächtig nach ochgurash klang. »Schau nur, jetzt lacht sie sogar!«
»Was du nicht sagst«, schnarrte Rammar. »Vielleicht sollte ich mal meine Faust in deine grüne Fresse hauen, dann hätte ich auch wieder was zu lachen.«
»Hör gar nicht auf ihn, kleines Mädchen. Weißt du, bald haben wir es geschafft. Dann werden wir den Fluss überqueren und …«
»Bis zum Fluss ist es noch ein gutes Stück«, stellte Rammar klar, »und unterwegs gibt es noch jede Menge Feinde, die nur darauf warten, uns den asar aufzureißen!«
In diesem Moment begann das Kind zu weinen.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Du hast es erschreckt«, sagte Balbok.
»Das Balg wird noch viel mehr erschrecken, wenn wir von einer Zwergenpatrouille oder einer Meute Ork-Söldner entdeckt werden«, prophezeite Rammar, der sich nervös nach allen Seiten umblickte. »Los, komm weiter! Und sorg dafür, dass das kleine Ding zu schreien aufhört.«
Balbok gab sein Bestes.
So ruhig er es vermochte, redete er auf das Kind ein. Er lächelte es an, was allerdings aussah, als würde er Grimassen schneiden, und versuchte, ihm mit krächzender Stimme etwas vorzusingen.
Erfolglos.
Das Kind schrie immer weiter – und in der ebenen Landschaft war sein Geschrei weithin zu hören.
»Verdammt!« Rammar fuhr herum. »Ist jetzt bald Ruhe? Was, beim kopflosen Hirul, hat es denn?«
»Hunger«, mutmaßte Balbok. »Es hat noch nichts gegessen, seit wir unterwegs sind.«
»Dann gib ihm sein Fressen, worauf wartest du? Aber von deiner Ration, dass das klar ist!«
»Korr.« Kurz entschlossen ließ sich Balbok am Wegesrand
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