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Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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das durch die Wurzeln schimmert.«
    War das möglich? Da unten durfte es doch nur Finsternis geben, oder etwa nicht? War die Schattenstadt etwa kein Ort der reinen Dunkelheit? Catalina hatte niemals hinterfragt, ob dies so war. Schatten waren dunkel, also musste ihre Stadt genauso finster sein.
    »Du bist die Mephistia«, sagte Márquez, »du siehst Licht, wo andere nur Dunkelheit sehen.«
    Catalina, die sich seit zwei Tagen immer weniger über Dinge wunderte, die ihr passierten, nickte einfach nur.
    Blieb trotzdem die Frage, wie sie in den Brunnen hineinkommen sollte. Das dichte Blattwerk und die Ranken ließen keinen Zugang erkennen.
    »Du musst den Rosenefeu berühren«, erklärte ihr Márquez. »Ich kann schnell durch die Lücken hindurchfließen, aber für dich und den Kater müssen die Wurzeln den Weg erst freigeben.«
    »Was muss ich denn tun?«
    »Wenn du sie berührst, dann musst du sie bitten, sich dir zu öffnen.«
    »Einfach so?«
    Er nickte. »Einfach so!«
    Sie betrachtete die Dornen, die winzig aus den knorrigen Rankenwurzeln herauswuchsen. Hier und da öffnete sich eine Efeurose, erblühte wie eine frische Farbe und roch wie der frühe Morgen in der Cala Silencia.
    »Einfach so«, murmelte Catalina skeptisch und berührte ein wenig zögerlich das Wurzelwerk des Rosenefeus. Es fühlte sich an, als würde es tatsächlich atmen.
    Das Holz war ganz warm und etwas in ihm pulsierte. Säfte flossen in den Rankenwurzeln und in ihnen war Leben, das vieles empfinden und sich an dem blauen Himmel erfreuen konnte. Die Gedanken, die dem Rosenefeu sonst allein gehörten, tasteten nach dem Mädchen. Catalina konnte sie nicht verstehen, aber sie spürte, dass sie ihr nicht feindlich gesonnen waren. Es waren Gedanken, in denen die gleißende Sonne des Nachmittags und die frische Feuchtigkeit der Nacht lebten, Gedanken, in denen Schmetterlinge und Bienen vorkamen, die sich auf den Blüten niederließen, um sie sanft, ganz sanft, zu berühren.
    Es war nicht nur ein Rosenbaum, der sich da zwischen den Klauen der Drachenharpyie hervorwand, mit Blüten, so bunt wie die Farben der Welt. Nein, dies war ein Wesen, das atmete und lebte und auf eine Art, die Catalina nicht verstand, sogar reden konnte. Sie konnte sich jetzt vorstellen, dass sich auch die Pflanzen Geschichten erzählten.
    Rosenefeu, dachte Catalina nur.
    Sie wusste nicht, wie lange sie so dagestanden hatte.
    Plötzlich hörte sie ein Knirschen. Die steinernen Flügel der Brunnenfigur spannten sich ein wenig. Leise, ganz leise hob die Harpyie eine Klaue und der Rosenefeu zog sich von der Brunnenöffnung zurück. Wie knorrige Schlangen, die keinen Anfang und kein Ende hatten, schoben sie ihre Leiber an dem Sockel hoch, sodass sich ein gähnend tiefer Brunnenschacht vor dem Mädchen auftat.
    »Danke«, flüsterte Catalina und streichelte eine der Rankenwurzeln und kam sich nicht einmal komisch dabei vor.
    Dann blickte sie in den Chafariz hinein.
    Miércoles machte einen Buckel. Noch immer hatte er seine Flügel gespreizt.
    Ein kühler Windhauch streifte das Gesicht des Mädchens, einer, der von tief, tief unten kam.
    »Was bedeutet eigentlich dieser Name?«, fragte sie und ihre Stimme hallte von den Brunnenwänden wider.
    »Es ist ihr Name«, antwortete Márquez.
    »Wessen Name?«
    »Der Name der Harpyie.«
    »Ist sie lebendig?«, fragte sie.
    »Das weiß niemand so genau.«
    Sie fröstelte.
    Schaute noch einmal die Brunnenfigur an, die nun wieder aussah wie etwas aus Stein, und dann hinab in den Brunnen.
    Es war ein Abgrund, der sich vor ihnen auftat. Dunkel war er, als gebe es überhaupt keinen Boden. Doch ganz unten, wo normalerweise die Finsternis am tiefsten sein musste, dort, wo die Nacht ohne Mond auszukommen hatte, gewahrte Catalina abermals dieses sachte Glimmen wie ein weit, weit entferntes Licht.
    »Sie ist noch da«, sagte Márquez, der vor ihr waberte.
    »Wen meinen Sie?«
    »Die Stadt aus Nacht und Nirgendwo. Wir müssen sie betreten, bevor sie sich wieder auf eine neue Wanderschaft begibt.« Der Schatten hob den Kopf und blickte zum Himmel hinauf, der sich immer mehr verfinsterte. Die Fäden der Meduza strickten langsam, aber stetig ein neues Firmament. Eines, an dem keine Sterne funkeln und über den keine Fluggeräte mehr fliegen würden.
    Die Dunkelheit kam durch die Gassen gekrochen, man konnte ihre Kälte bereits fühlen. Bald schon würde sie den Largo do Chafariz erreicht haben.
    Ein letztes Mal dachte Catalina an Nuria.
    Daran, dass sie nicht

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