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Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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hören.
    Sie zitterte, fror. Kalt war es hier drinnen.
    Und kälter wurde es, je tiefer sie kletterte.
    Ein letztes Mal sah Catalina nach oben. Lisboa war zu einem kleinen Kreis geschrumpft, über dem sich die Fäden der Meduza zusammenzogen.
    Und während ein lautes Zischen die Nacht zerschnitt, erblickte sie das bleiche Gesicht.
    Beinahe hätte sie vor Schreck die Rankenwurzel losgelassen. Denn das bleiche Maskengesicht hatte auch sie gesehen.
    »Oh, verdammt!«
    Es war ein Harlekin.
    Die Maske mit den leeren Augenschlitzen und dem breiten rot gemalten Grinsen war ganz plötzlich hoch oben am Brunneneingang aufgetaucht und schien dort mitten in der Luft zu schweben.
    Regungslos verharrte die Maske.
    Wartete.
    Sie verfluchte sich, dass sie so lange gezögert hatte. Márquez hatte sie gewarnt! Er hatte gewusst, dass die Harlekine, die mit der Armada gekommen waren, sie finden würden.
    Miércoles flatterte neben ihr in der Dunkelheit und die güldenen Augen des Katers leuchteten warm vor ihrem Gesicht. So nah, dass sich die Furcht in ihren Augen in denen des Katers spiegelte.
    Márquez war auf einmal zur Stelle, sie fühlte es, wenn sie ihn in der Dunkelheit auch nicht mehr sehen konnte.
    »Was immer er tut«, flüsterte der alte Kartenmacher, »er kann uns sehen.«
    Gerade wollte Catalina fragen, warum er ihnen dann nicht folgte, als der Harlekin in einer einzigen eleganten Bewegung in den Brunnen hineinglitt, als hätte jemand flüssige Finsternis in den Abgrund geschüttet.
    »Klettere, so schnell du kannst!« Márquez’ Schattenstimme wurde zu einem Fauchen.
    Das Mädchen zögerte nicht länger. Sie spürte, wie die knorrige Haut der Rosenrankenwurzel, an der sie sich festklammerte, immer dünner und dünner wurde, je weiter sie nach unten kletterte. Ihre Füße fanden kaum noch Halt, was nur bedeuten konnte, dass die Ranken bald schon zu Ende sein würden.
    Wie weit es dann noch bis zum Boden war, vermochte sie nicht zu sagen. Sie erinnerte sich nur an die unendliche Tiefe, die sie gespürt hatte, und erschauderte.
    Was sollte sie tun, wenn die Ranken endeten? Was wurde von ihr erwartet? Springen? War das die Lösung? Befand sich die Schattenstadt am Boden dieses Brunnens?
    Die weiße Maske, die in der Dunkelheit zu leuchten begann, kam näher.
    Catalina kletterte.
    Schneller.
    Und schneller.
    Ihr Herz pochte laut und ihre schweißfeuchten Hände griffen immer öfter ins Leere.
    Miércoles fauchte wütend.
    Da! Die Harlekinmaske glitt auf sie zu.
    Entsetzt schaute sie sich nach Márquez um, doch sie konnte ihn nirgendwo erkennen. Es war einfach zu finster. Sie war auf sich gestellt.
    Nicht denken! Klettern, schrillte es in ihr.
    Bitte! Sie durfte diesem Ding nicht in die Hände fallen.
    Die eisige Nachtschwärze um sie herum war undurchdringlich; inzwischen konnte Catalina nicht einmal die Hände vor ihren Augen sehen. Auch nicht mehr die Harlekinmaske hoch über sich. Sie hörte das Flügelschlagen des Katers und hin und wieder ein Zischen, das der Harlekin ausstoßen mochte.
    Doch wurde es nicht leiser?
    War sie vielleicht doch schneller als der Harlekin?
    Noch einmal blickte sie nach oben, gegen besseres Wissen, denn sie ahnte, dass sie ihre Kraft einzig darauf konzentrieren musste voranzukommen.
    Der runde Punkt der Brunnenöffnung war verschwunden.
    Und plötzlich verstummte jedes Geräusch, selbst das Zischen des Harlekins, selbst das Schlagen von Miércoles’ Flügeln. Nichts!
    Sie spürte, wie Panik in ihr hochkroch.
    Den Harlekin gar nicht mehr zu hören, war vielleicht noch schlimmer, als die Maske nahen zu sehen oder das Zischen zu vernehmen. Er konnte sich jetzt überall in dieser Finsternis verbergen und er konnte sich jederzeit auf sie stürzen. Catalina hatte nicht die leiseste Ahnung, wie schnell sich diese Kreaturen in der absoluten Nachtschwärze bewegen konnten.
    Angstvoll verharrte sie, tastete nach der Pflanze, dünn, so dünn unter ihren verkrampften Fingern.
    Trost konnte ihr der Rosenefeu nicht länger geben.
    Miércoles. Wo war er? War er vorausgeflogen?
    Ein Beben rollte durch die Nacht und die Rankenwurzel, an die sie sich klammerte, wurde unsanft hin und her geschüttelt. Sie bäumte sich auf und erzitterte, als habe sie Schmerzen.
    Catalina klammerte sich fest, um nicht zu fallen. Der dünne Strang glitt durch ihre schweißfeuchten Hände.
    Ich werde loslassen, schoss es ihr durch den Kopf. Diesmal werde ich loslassen.
    Erneut schüttelte sich die Rankenwurzel.
    Catalina stöhnte

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