Die Koenigin der Schattenstadt
sich im Schwarz verbargen und sich drehten und veränderten, wenn man in sie hineinschaute. Wie Buchstaben, die leise flüstern, wenn man ihnen nicht lauschen will und wegzuhören versucht. Es fühlte sich genauso an, als sänge die frostige Nacht ihr Lied in Farben, die niemand sehen konnte.
Jordi wendete den Blick schnell ab, weil er fürchtete, die Melodie am Ende noch schön zu finden. Es war nur ein Gefühl, schnell empfunden und doch so mahnend wie eine schlimme Vorahnung.
Der Gestank des Feuers vertrieb die Gedanken.
Es breitete sich aus. Der beißende Rauch, den die Brände atmeten und der jetzt überall war, ließ Jordi schmerzhaft husten.
Aber ihr Licht würde die Dunkelheit nicht vertreiben. Bald schon, dessen war Jordi Marí sich sicher, würde ihn diese eiskalte Finsternis umarmen. Er würde in die Farben, vor denen er jetzt noch die Augen verschloss, eintauchen und ein Teil dieser gewaltigen Dunkelheit werden, die über das Land gekommen war.
So weit war er gereist, seitdem er Barcelona verlassen hatte. Und doch war auch hier die Luft erfüllt von den Schreien der Menschen, die kopflos und panisch aus ihren Häusern stürzten. Und wieder war Jordi allein auf sich gestellt. Alles wiederholte sich, wie es sich auch in den anderen großen Städten zugetragen hatte.
Er dachte an Valencia, das die Schatten erobert hatten. Wie vielen Städten mochte es während der letzten Tage ähnlich ergangen sein? Wie groß war die Armada, die vor Lisboa lag, wirklich und was führte sie im Schilde? Warum wollten die Schatten diese Welt erobern? Warum begnügten sie sich nicht damit, einfach nur Schatten zu sein?
Jordi starrte in den sternenlosen Himmel und wunderte sich selbst, wie nüchtern, nahezu still er ausgerechnet jetzt über seine Lage nachdachte. Fast war es, als stünde er losgelöst inmitten des Infernos, kaum mehr als ein unauffälliger Beobachter, dem niemand etwas anhaben konnte.
Doch was hätte er schon anderes tun können, als ruhig dazustehen? Er konnte nirgendwohin laufen. Es gab keinen Fluchtweg mehr.
Die Luft wurde umso kälter, je tiefer das Wolkengebilde sank. In Barcelona hatten die Fäden der Meduza die Stadt umschlossen, aber sie waren nie auf den Erdboden gestürzt.
Sein Blick fiel auf den Finsterfaden, der durch die Tür in Fados Laden hineinreichte. Er lag nun still und lauernd da – ob er am Leben war, konnte Jordi nicht sagen.
Hatte die Nebelhexe am Ende doch gesiegt? Konnte das Wolkengebilde sich deswegen nicht mehr am Himmel halten? Entzog sie ihm die Kraft?
Jordi wusste es nicht und plötzlich war es ihm auch egal. Es war ihm egal, wer hier wen bekämpfte – und vor allem, warum sie es taten.
Denn alles Wissen über das, was hier vorgehen mochte, würde ganz und gar nutzlos sein.
Und gerade dieses unendliche Gefühl der Hilflosigkeit machte ihn plötzlich so wütend wie noch nie zuvor. Wütend zu sein war allemal besser als ängstlich zu sein! Zumindest vergaß man die Furcht, solange man richtig wütend war.
Jordi hob den Kopf und sah sich nach einem Ausweg um.
Die lodernden Flammen, die auf die angrenzenden Häuser übergriffen, hielten die Schatten im Moment noch in Schach, doch bereits jetzt hatte das Gewicht des Wolkengebildes Ziegel von den Dächern stürzen lassen und die oberen Stockwerke einiger hoher Häuser gestreift. Aus den Fensteröffnungen quollen Staub und Schatten und wenn jemand versuchte, von dort oben zu entkommen, so riss ihn die Nachtschwärze ins Innere seines Heims zurück.
Etwas berührte ihn sacht am Bein.
Noch bevor Jordi die Kälte spürte, rollte er sich mit einem Aufschrei zur Seite und sprang auf die Füße. Ein Finsterfaden schnappte nach ihm, als sei er eine Peitschenschnur, die sich ihm um den Knöchel wickeln wollte.
Hastig torkelte er zurück, bis er mit dem Rücken an der nächsten Hauswand stand.
Drüben, vor dem Laden, strömten jetzt Kakerlaken auf die Straße und versammelten sich in sicherer Entfernung von den heißen Flammen. Alle waren sie von Schatten überzogen und bildeten einen dichten Teppich aus schwarzen unruhigen Leibern, einen, der sich bald schon der Gegenwart des Jungen bewusst werden würde.
Eine Gruppe von Männern rannte die Straße entlang in die Richtung, wo es zum Hafen gehen musste. Sie riefen Jordi etwas zu, das er nicht verstand. Hastig sah er sich um.
Vielleicht hatten die Flüchtlinge einen Plan?
Ein Mann aus der Gruppe winkte ihm zu, bedeutete ihm, sich zu beeilen.
Jordi holte tief Luft und schob
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