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Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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sich im Schutz der Wand auf die Männer zu.
    Doch er war keine zwei Schritt weit gekommen, da griffen die Finsterfäden an. Sie wickelten sich um die Hälse der Männer, zerrten sie in die Luft hinauf und wirbelten sie umher, als seien sie nur ausgestopfte Puppen. Ein Faden peitschte auf einen der Älteren zu – glitt genau zwischen ihm und seinem Schatten entlang, wie ein Messer, das Stoff trennt. Ungläubig sah Jordi, wie sich der Schatten vom Körper des Mannes löste, zum Leben erwachte und im Erdboden versickerte, während der Finsterfaden den Körper umschlang und in die Höhe riss.
    Es dauerte nur Augenblicke und die ganze Gruppe war in der Wolke hoch über der Alfama verschwunden, mitten in Nacht und Nichts.
    Der Einzige aus der Gruppe, der sich zu Boden geworfen hatte, bevor die Fäden der Meduza ihn zu fassen bekamen, war in Windeseile von dem Kakerlakenschwarm bedeckt worden.
    Jordi wandte seinen Blick ab. Zu entsetzlich war das, was er da beobachtete.
    Es gab kein Entrinnen, es konnte einfach keins geben.
    Jordi ging einen Schritt zur Seite.
    Langsam, vorsichtig.
    Die Schwärme der Insekten blieben ruhig. Sie reagierten fast nur auf Bewegungen, das war dem Jungen eben aufgefallen. Wenn er sich still verhielt, dann . . .
    Etwas zischte erneut an ihm vorbei.
    Bevor sich Jordi auch nur einen einzigen weiteren Gedanken um die Kakerlaken machen konnte, hatte sich bereits etwas um sein Bein geschlungen und ihn unsanft von den Füßen gerissen.
    Er stieß einen lauten Schrei aus und dann stürzte er, wurde ein ganzes Stück die Straße hinuntergeschleudert und schlug mit dem Gesicht auf dem Steinboden auf, sodass ihm warmes Blut aus der Nase rann.
    »Verdammt«, keuchte er.
    Die Berührung des Finsterfadens brannte wie Eis und brachte ihn wieder zu Bewusstsein.
    Er strampelte hektisch, um sich zu befreien, trat nach dem Tentakel, versuchte ihn abzustreifen.
    Ohne Erfolg.
    Der Tentakel ließ nicht locker. Er schleifte den Jungen über den Boden, hinüber zur anderen Straßenseite, wo er ihn erneut gegen die Wand eines Hauses stieß.
    Verzweifelt suchte Jordi nach einem Halt, nach irgendetwas, an dem er sich festklammern konnte. Doch seine Hände griffen nur in den Schmutz der Straße und der aufgewirbelte Sand brannte ihm in den Augen.
    Die Kakerlaken witterten ihn jetzt und setzten sich in Bewegung.
    Jordi sah den Teppich aus kleinen Leibern auf sich zuströmen. Ihre winzigen Münder öffneten und schlossen sich ganz aufgeregt und machten knisternde hungrige Geräusche, die in ihrer Vielzahl zu einem fließend raschelnden Ton wurden.
    Er hatte diese Tiere noch nie leiden können und das, was da auf ihn zugerannt kam, sah nicht einmal aus wie die Kakerlaken, die sich normalerweise in den Häusern herumtrieben. Sie sahen unecht aus, schräg, fremdartig. Als habe jemand Kakerlaken zu zeichnen versucht und diese Zeichnung mit echten Kakerlaken vermischt. Er musste an die Papierwesen denken, die eine Mischung aus Schakal und Mensch gewesen waren. Waren die Kakerlaken hier ähnliche Geschöpfe? Es gab auch noch Kakerlaken, die echt aussahen, aber die anderen . . .
    Ihm schwindelte.
    Er konnte kaum mehr klar denken, aber er wusste, dass er etwas finden musste, womit er sich verteidigen konnte, irgendeine Waffe, die ihm dieses verdammte Gefühl nahm, sich seinem Schicksal so schutzlos auszuliefern.
    Blut rann ihm übers Gesicht, er spürte es warm auf seiner Stirn.
    Der Finsterfaden zerrte an Jordi.
    Die Kälte schnitt ihm durch den Stoff seiner Hose ins Bein und bald kroch Taubheit ihm das ganze Bein hinauf wie Eis.
    Panisch schaute er sich um. Nichts!
    Da war nichts, was ihm eine Hilfe gewesen wäre.
    Die Kakerlaken, dunkle Punkte mit wachsamen Augen und allesamt zum Leben erwacht, machten klackende hungrige Geräusche. Ihre langen Fühler tasteten auf dem Boden nach Beute und Jordi ahnte, wer diese Beute sein würde.
    Warum nur zog der Finsterfaden ihn nicht einfach hinauf, wie er es mit all den anderen Opfern getan hatte? Konnte er es etwa nicht? Verlor er die Kontrolle?
    Jordi fiel erneut zu Boden und im Fallen sah er einen Gegenstand im Sand. Er griff danach, instinktiv. Eine alte Münze, ein Geldstück, vielleicht aus Silber oder einem anderen Metall.
    Egal. Die scharfen Kanten schimmerten wie die Klinge eines Messers.
    Jordi hob den Arm und hieb mit der Münze auf den Finsterfaden ein, ohne genau zu wissen, was er da tat und warum er es tat. Die dunklen Farben kreischten auf.
    Und dann ließen sie ihn los.

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