Die Königin der Weißen Rose
erwartet uns, er ist bereit. Er hat uns den Weg abgeschnitten.»
«Sei still, Knabe», sagt Hastings mit Nachdruck. «Kein Grund, das der ganzen Armee mitzuteilen. Wie viele?»
«Konnte ich nicht sehen, es war zu dunkel. Mehr als wir.»
Edward und Hastings werfen sich einen ernsten Blick zu. «Viel mehr?», fragt Hastings dann.
Richard tritt hinter seinem Bruder vor. «Vielleicht doppelt so viele wie wir, Sir. Vielleicht sogar dreimal.»
Hastings beugt sich aus dem Sattel zu ihm. «Und das musst du auch für dich behalten», sagt er. Er entlässt die Jungen mit einem Nicken und wendet sich an Edward. «Sollen wir den Rückzug antreten oder auf den Morgen warten? Nach London zurückmarschieren? Den Tower halten? Uns auf eine Belagerung einstellen? Auf Verstärkung aus Burgund hoffen?»
Edward schüttelt den Kopf. «Wir marschieren weiter.»
«Wenn die Jungen recht haben und Warwick uns mit doppelt so vielen Männern auf einer Hügelkuppe erwartet …» Hastings muss seinen Satz nicht beenden. Edwards einzige Hoffnung gegen eine größere Armee bestand darin, sie zu überraschen. Edwards Kampfstil ist geprägt vom schnellen Vormarsch und dem Überraschungsangriff, aber das weiß Warwick genau. Schließlich hat er Edward in die Kunst der Kriegsführung eingeweiht. Er ist bestens auf ihn vorbereitet. Der Meister trifft auf seinen Schüler, und er kennt dessen Tricks.
«Wir marschieren weiter», wiederholt Edward.
«In einer halben Stunde sehen wir die Hand vor Augen nicht mehr», bemerkt Hastings.
«Genau», antwortet Edward. «Und sie auch nicht. Sag den Männern, sie sollen schweigend marschieren. Gib den Befehl aus: absolute Ruhe. Sie sollen sich in Reihen aufstellen, gefechtsbereit, dem Feind zugewandt. Ich will sie schon in Stellung haben für die Morgendämmerung. Wir greifen im ersten Morgenlicht an. Sag ihnen, keine Feuer, keine Laternen und vollkommene Stille. Sag ihnen, dass das von mir kommt. Ich gehe flüsternd durch die Reihen. Ich will kein Wort hören.»
George, Richard, Hastings und Anthony nicken und reiten die Reihen auf und ab, befehlen den Männern, in völliger Stille zu marschieren und, sobald der Befehl kommt, am Fuß des Kamms das Lager aufzuschlagen, Warwicks Armee gegenüber. Während sie schweigend den Marsch fortsetzen, senkt sich die Dunkelheit übers Land. Der Kamm verschwimmt mit dem Horizont, und die Silhouetten der Standarten verschmelzen mit dem Nachthimmel. Der Mond ist noch nicht aufgegangen, die Welt wird schwarz.
«Das ist gut so», sagt Edward, halb zu sich selbst, halb zu Anthony. «Wir können sie kaum sehen, und dabei heben sie sich gegen den Himmel ab. Sie werden uns gar nicht erkennen können, denn sie müssen vom Hügel hinunter ins Tal sehen. Sie sehen nichts als Dunkelheit. Wenn wir Glück haben und es morgen früh diesig ist, merken sie nicht einmal, dass wir überhaupt da sind. Wir sind im Dunst des Tals versteckt. Aber sie sind dort oben, wo wir sie sehen können wie Tauben auf einem Scheunendach.»
«Glaubst du, sie warten bis morgen früh?», fragt Anthony. «Damit wir sie wie Tauben vom Scheunendach holen können?»
Edward schüttelt den Kopf. «Ich würde das nicht tun. Und Warwick auch nicht.»
Wie zur Untermauerung des Gesagten kracht es plötzlich neben ihnen gewaltig. Im Geschützfeuer von Warwicks Kanonen steht die wartende Armee, die oberhalb von ihnen zusammengezogen ist, im Licht einer gelben Flammenzunge.
«Lieber Gott, es sind mindestens zwanzigtausend», flucht Edward. «Sag den Männern, sie sollen leise sein, das Feuer nicht erwidern und mucksmäuschenstill sein. Still wie schlafende Mäuse.»
Ein gedämpftes Lachen ist zu hören, als ein Spaßvogel ein leises Piepsen von sich gibt. Anthony und Edward hören, wie das Kommando flüsternd von Reihe zu Reihe weitergegeben wird.
Wieder dröhnen die Kanonen. Richard kommt herangeritten, sein schwarzes Pferd fast unsichtbar in der Dunkelheit. «Bist du’s, Bruder? Ich kann nichts sehen. Der Schuss ging weit über unsere Köpfe, Gott sei Dank. Warwick hat keine Ahnung, wo wir sind. Er hat die Entfernung überschätzt. Er denkt, wir sind eine halbe Meile weiter hinten.»
«Sag den Männern, sie sollen ruhig bleiben, dann wird er es nicht vor dem Morgen erfahren», sagt Edward. «Richard, sag ihnen, sie sollen sich still hinlegen: keine Laternen, kein Feuer, absolutes Schweigen.» Sein Bruder nickt und dreht in die Dunkelheit ab.
Edward winkt Anthony mit dem Finger heran. «Reite eine gute
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