Die Königin der Weißen Rose
von York zu töten?»
Ich öffne mein Schmuckkästchen, hole das schwarz angelaufene Medaillon heraus, drücke auf den Verschluss, und es springt auf. Da stehen zwei Namen – George of Clarence und Richard Neville, Earl of Warwick – auf einem Papierschnipsel, den ich vom letzten Brief meines Vaters abgerissen habe. Den letzten Brief, den er meiner Mutter geschrieben hat, schon in der Ahnung, dass ihn die beiden, die er sein ganzes Leben lang gekannt hat, aus reiner Tücke töten würden. Ich reiße den Schnipsel in zwei Teile. Den, auf dem der Name Richard Neville, Earl of Warwick steht, zerknülle ich in der Hand. Ich mache mir nicht einmal die Mühe, ihn ins Feuer zu werfen. Ich lasse ihn fallen und trete ihn in den Boden. Soll er zu Staub werden. Den Schnipsel mit dem Namen George lege ich ins Medaillon zurück. «George wird nicht überleben», sage ich nur. «Und wenn ich ihm persönlich ein Kissen auf das Gesicht drücken muss, wenn er unter meinem Dach schläft, als Gast meines Hauses, der unter meinem Schutz steht, der geliebte Bruder meines Mannes. George wird nicht überleben.Auch ein Sohn des Hauses York ist nicht unverletzlich. Ich werde ihn tot sehen. Er kann süß schlafend in seinem Bett im Tower von London liegen, und doch werde ich ihn tot sehen.»
Ich habe zwei Tage mit Edward, als er von der Schlacht nach Hause kommt, zwei Tage, in denen wir wieder die königlichen Gemächer im Tower beziehen, die flüchtig gesäubert wurden. Die Sachen des armen Henry wurden weggeworfen. Und Henry, der arme, verrückte König, wird in seine alten Räume mit den vergitterten Fenstern zurückgebracht, wo er ergeben betend niederkniet. Edward isst, als hätte er seit Wochen gehungert, aalt sich ewig in einem tiefen Bad wie Melusine, nimmt mich grob, ohne Zärtlichkeit, wie ein Soldat eine Dirne, und schläft ein. Er wacht nur auf, um den Bürgern von London mitzuteilen, dass die Gerüchte über Warwicks Überleben unwahr sind. Er hat seinen Leichnam gesehen. Er wurde auf der Flucht gestellt und getötet, als er feige davongaloppierte. Edward ordnet an, seinen Leichnam in der St. Paul’s Cathedral auszustellen, damit niemand mehr daran zweifeln kann, dass Warwick tot ist. «Aber ich gestatte nicht, dass er entehrt wird», sagt er.
«Sie haben den Kopf unseres Vaters auf einen Pfahl am Tor von York aufgespießt», erinnert ihn George. «Und ihm eine Papierkrone aufgesetzt. Wir sollten Warwicks Kopf an der London Bridge auf einer Lanze aufspießen, seinen Leichnam vierteln und im ganzen Königreich zur Schau stellen.»
«Ein netter Plan für deinen Schwiegervater», bemerke ich. «Würde es deine Frau nicht stören, wenn du ihrenVater zerstückelst? Außerdem dachte ich, du hättest geschworen, ihn zu lieben und ihm zu folgen?»
«Warwick kann in allen Ehren bei seiner Familie in Bisham bestattet werden», bestimmt Edward. «Wir sind keine Wilden. Wir fechten keinen Krieg mit Leichen aus.»
Wir haben zwei Tage und zwei Nächte zusammen, doch Edward wartet auf einen Boten und hält seine Truppen unter Waffen und marschbereit. Dann kommt der Bote. Margarete von Anjou ist in Weymouth gelandet, zu spät, um ihren Verbündeten zu unterstützen, aber bereit, ihre Sache allein durchzufechten. Unmittelbar danach erreichen uns Nachrichten von einer Erhebung Englands. Lords und Gutsherren, die ihre Männer nicht Warwick anvertrauen wollten, betrachten es als ihre Pflicht, der Königin beizustehen, wenn sie bewaffnet in den Kampf zieht und ihr Gemahl Henry von uns gefangen gehalten wird, von uns, ihrem Feind. Die Leute erzählen sich, dies sei die letzte Schlacht und diejenige, die zählen würde: eine letzte Schlacht, von der alles abhängt. Warwick ist tot, es gibt keine Mittelsmänner mehr. Jetzt ist es die Königin von Lancaster gegen König Edward, das Königshaus Lancaster gegen das Königshaus York, und jeder Mann in jedem Dorf des Königreichs muss wählen – und viele schlagen sich auf ihre Seite.
Edward befiehlt seinen Lords, aus allen Grafschaften zu ihm zu stoßen, schwer bewaffnet und mit der entsprechenden Anzahl von Männern, fordert von jeder Stadt Truppen und Geld, duldet keine Ausnahmen. «Ich muss aufbrechen», sagt er in der Morgendämmerung. «Das Wichtigste ist die Sicherheit meines Sohnes, was auch immer geschieht.»
«Pass auf dich auf», bitte ich. «Was auch immer geschieht.»
Er nickt, nimmt meine Hand, drückt einen Kuss hinein und schließt meine Finger darüber. «Du weißt, dass
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