Die Koenigin der Wolle
Vater sein könnte. Was meinst du, wie lange du mit ihm Spaß haben könntest, bevor er auf Rollator und Schnabeltasse angewiesen sein wird? Dein Gespür für Männer ist wirklich absurd, meine Süße.”
„Genau wie deine Häme. Alexander Sterling ist von Gebrechlichkeit so weit entfernt wie ich von einer Auszeichnung als Unternehmerin des Jahres”, entgegnete Rosalind trotzig. Er würde also im nächsten Monat in der Stadt sein. Sie hatte eine Idee, wie sie ihn zu sich locken konnte. „Kümmerst du dich um die Kunden? Ich muss mal kurz was nachschauen.” Mit diesen Worten sprang sie von ihrem Stuhl auf und verschwand im Lager.
„Äh... ja. Falls welche auftauchen.” Janice sah sich im Geschäft um. Sie befanden sich mitten in der Vormittagsflaute. Die Strickomis hatten ihre Einkäufe und Schwätzchen schon am Morgen hinter sich gebracht. Die jüngeren Stammkunden kamen für gewöhnlich erst gegen Abend vorbei. Die Zeit dazwischen hatte die Laufkundschaft fast ausschließlich für sich, um Reißverschlüsse, Nadeln, Nähgarn und Knöpfe zu kaufen.
Später am Abend fanden regelmäßig Handarbeitskurse und Kaffeekränzchen statt, bei denen interessierte Frauen und Männer entweder Neues lernen und vertiefen konnten oder bei Tee, Gebäck und ihren eigenen Projekten miteinander tratschen konnten.
***
Alexander trat seine Lesereise ohne großen Enthusiasmus an. Schließlich war für ihn nur eine der zwanzig Stationen von wirklichem Interesse. Doch schon bei seinem ersten Leseabend in einer kleinen Bücherei stellte er fest, dass die Tour sich lohnte. Die Frauen und Männer, die seinen Worten gebannt zuhörten und ihn anschließend mit ihrem fundierten Krimiwissen überraschten, gaben ihm das Gefühl, mit seinem neuesten Buch etwas richtig Gutes zustande gebracht zu haben. Auf dieser ersten und auch auf allen folgenden Stationen stellte er erleichtert fest, dass die hartgesottenen Krimifans den Befindlichkeiten des Autors und damit auch der Widmung des Romans keine besondere Bedeutung beimaßen. In einem Gespräch zwischen zwei Lesern, das Alexander zufällig aufschnappte, formulierte es ein Mann in etwa so: „Soll er das Buch doch widmen, wem er will. Nur das, was nach der Widmung kommt, zählt.” Für diese abgebrühte Kaltschnäuzigkeit liebte Sterling seine Landsleute.
Der Abend spät im Oktober, dem er so sehr entgegengefiebert hatte wie damals seiner ersten Buchveröffentlichung, war kalt und windig. Alle Zuhörer, die sich in der Filiale von WH Smith versammelt hatten, trugen wärmende Pullover. Hier und da war sogar der erste Schal zu sehen. Alexander beobachtete die Menge genau - ein Meer aus blond, brünett, graumeliert und weiß. Kein einziger Rotschopf befand sich unter seinen Zuhörern. Sie war also nicht da. Er hatte sich in etwas hineingesteigert. Wie konnte ein erwachsener Mann nur so dumm sein? Immer wieder musste er sich innerlich zur Ordnung rufen, um bei seinem Vortrag die Konzentration nicht zu verlieren. Dem anschließenden Gespräch konnte er sich nicht mit vollem Elan widmen, versuchte aber, seinen Fans den Abend nicht durch Unaufmerksamkeit zu ruinieren. Als endlich alle die Buchhandlung verlassen hatten, ließ er sich auf einen Stuhl fallen und atmete tief durch.
„Mr Sterling, vorhin ist etwas für Sie abgegeben worden. Vor Ihrer Lesung hab’ ich vergessen, Ihnen das hier zu geben. Entschuldigung.” Die Angestellte des Buchladens biss sich auf die Unterlippe und überreichte ihm ein unförmiges Paket. Braunes Packpapier. Nicht sehr glamourös. Keine Aufschrift. Eine Briefbombe? Alexander befühlte das Gebilde vorsichtig, bevor er das Papier aufriss. Das, was da unter dem Papier zum Vorschein kam, machte den Rest des Tages wieder wett.
„Wow, Mr Sterling, der hat ja dieselbe Farbe wie Ihre Augen!” Die Buchhändlerin hatte ihn aus ein paar Metern Entfernung beobachtet und war nun wieder zu ihm getreten.
Obwohl der Autor sich darüber wunderte, dass diese fremde Frau seine Augenfarbe so genau kannte, musste er ihr zustimmen. Das wollene Etwas, das da auf seinem Schoß lag, war in einem hellen, karamellartigen Braunton gehalten. Es fühlte sich so wunderbar weich an, dass er es nicht lassen konnte, mit einer Hand immer wieder darüber zu streichen. Erst nach einer ganzen Weile, in der er das Gefühl der Erleichterung genoss, dachte er überhaupt daran, das Kleidungsstück aufzufalten. Er hielt einen Pullover vor sich, der über und über mit keltischen Mustern
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