Die Koenigin der Wolle
Bekannter. Ich habe ihn Anfang des Jahres am Flughafen kennen gelernt. Er ist großartig, Janice, und wenn du jetzt lachst, ersteche ich dich mit einer Zehnmillimeternadel.”
Janice warf einen weiteren Blick auf das Foto am Bildschirm. „Ich lache nicht. Er sieht gut aus. Allerdings sieht er auch nicht nach deiner Altersklasse aus. Kennst du ihn näher?”
Rosalind drehte eine ihrer Locken zwischen ihren Fingern. „Nahe genug, um zu wissen, dass ich ihn wiedersehen möchte.”
„Na dann viel Glück! Wer auf einer so professionellen Website zu sehen ist, muss berühmt sein. Stell’ ihn mir vor, wenn du ihn zu fassen kriegst.” Janice war, was Männer anging, weit weniger enthusiastisch als bei Wolle. Seit ihrer Scheidung stand sie dem Thema Beziehung extrem skeptisch gegenüber.
***
Nach seiner Leserei im Tonstudio fühlte sich Alexander wochenlang, als säße er auf glühenden Kohlen. Immer wieder rief er bei Lydia an, um nach dem Fortschritt der Buchherstellung zu fragen. Genau genommen drängelte er auf hohem Niveau. Seine Ungeduld, den Krimi endlich in den Regalen zu sehen, ließ Lydia Morgenluft wittern. Als sie ihm ganz beiläufig eine Lesereise quer durchs Land vorschlug, war er zum ersten Mal überhaupt Feuer und Flamme. Solange er als Autor das Mitspracherecht bei den Stationen der Reise haben würde, wäre er einverstanden. Diese neue, leicht zu beeinflussende Seite an Alex gefiel der Literaturagentin ungemein. Nur eine Sache wurmte sie - hinter sein Geheimnis war sie bis jetzt nicht gekommen. Wann immer sie einen Versuch wagte, den Grund für seine Unruhe zu erfahren, stellte er sich taub, blind und blöd. Auf die Frage, ob er etwa krank sei, hatte er lediglich mit einem entrückten Lächeln und einem stummen Kopfschütteln geantwortet.
Tatsächlich hatte Alexander erst vor Kurzem wieder seinen alljährlichen Gesundheitscheck über sich ergehen lassen. Das Ergebnis hatte seinen Arzt erfreut und ihn selbst im höchsten Maße befriedigt. Werte wie ein höchstens Vierzigjähriger, das hatte sein Arzt ihm bescheinigt. Wenn er wolle, könne er noch immer die nächste Generation von Starautoren zeugen. Ein beruhigender Gedanke - sollte sich die Gelegenheit ergeben, wäre er zu allen Schandtaten bereit. Vorerst würde er sich jedoch mit anregenden Gedanken und regelmäßigen kalten Duschen begnügen müssen. Diese kalten Duschen waren extrem lästig und zudem absolut wirkungslos. Einziger Vorteil war, dass Alexander Sterling ohne zu frieren an einer Expedition zum Polarkreis hätte teilnehmen können.
Es dauerte bis zur zweiten Septemberwoche, bis „Tanz ins Verderben” endlich im Handel erhältlich war. Wie Lydia und Sally es vorausgesagt hatten, kauften und bestellten die treuen Fans der Basil St. John-Reihe wie verrückt. Eine Woche nach seiner Erscheinung führte der Krimi die Bestenlisten an, in gedruckter und in gesprochener Version.
Gleichzeitig mit dem Erscheinen des Buches hagelte es so viele Interviewanfragen und Einladungen in TV-Shows, dass Lydia ernsthafte Koordinationsprobleme bekam. Alexander wurde schon bei den ersten Gesprächen klar, dass die Widmung des Romans mindestens genau so großes Interesse geweckt hatte wie die eigentliche Handlung. Eine Antwort blieb er aber allen Fragenden schuldig. Ein Lächeln, ein Schulterzucken und die Mitteilung, dass diese besondere Person schon wisse, dass sie gemeint sei, war alles, was aus Sterling herauszubekommen war.
***
„Du lieber Himmel! Janice, sieh’ dir das an. Sofort.” Rose hielt die Früchte ihrer Investition in Literatur in den Händen und konnte nicht fassen, was sie da auf der ersten Seite las. Als Königin der Wolle hatte sie sich ihm damals vorgestellt.
Janice lugte über Rosalinds Schulter und nickte anerkennend. „Gratulation, Rosie. Du scheinst einen bleibenden Eindruck bei dem Herrn hinterlassen zu haben. Wenn du dir schon immer einen ältlichen Kriminalautoren gewünscht hast, kannst du den Sack jetzt zumachen.” Sie griff nach dem Hörbuch und drehte den CD-Schuber zwischen ihren Händen. „Oha, und das sogar schon recht bald. Auf dem Aufkleber stehen die Daten für eine Lesereise. Wie’s aussieht, gibt sich der Superstar nächsten Monat bei WH Smith in der Broad Street die Ehre. Das ist deine Chance.”
„Kannst du mir verraten, warum das aus deinem Mund so furchtbar zynisch klingt?”, fragte Rosalind etwas demotiviert. „Er ist wirklich sehr nett.”
„Aber so alt, dass er dein
Weitere Kostenlose Bücher