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Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Die Königin ist tot: Roman (German Edition)

Titel: Die Königin ist tot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olga Flor
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sagen, ich sei ungerührt, so oft ich will: die Erinnerungsfiltrieranlage läuft auf Hochtouren. Kaum ist die Zukunftsgrenze überschritten, setzt sie sich in Gang, wird die Erinnerung zerstückelt, sortiert, verwertet und reproduziert, Stück für Stück begutachtet und analysiert. Die Kinder rufen mich nur einmal an in der Zeit, ein Hinweis darauf, dass es ihnen gut geht. Mein Herz ist nämlich nicht kälter geworden. Alles Wunschvorstellung, die mit der Realität von mir allein Dasitzender, allein in seiner Burg, absolut nichts zu tun hat. In meiner Burg. Meine. Ich vergesse mich. Ein Lächeln hole ich zum Beispiel hervor, das nur einen Sekundenbruchteil aufblitzt, und an dem ich mich doch wärmen kann. Weiße innere Winterkälte? Wohl kaum. Sieht mir das ähnlich?
    Eine bestimmte Formulierung, die Alexander benutzt hat (etwas mit Analysten: something wicked?), und die irgendeine Entsprechung in mir findet, jedes Detail wird wieder und wieder hervorgeholt, sonst habe ich nichts zu tun, die beheizbaren Zimmer sind überschaubar, und sogar Beatrice scheint das Waffenstillstandsabkommen einzuhalten. (Die Sauberkeit der Palisanderholzvertäfelung der Liftvorhallen wird übrigens von einem weißbehandschuhten Kontrollorgan überprüft: die Innenflächen der Finger bleiben unbefleckt, wie man mir zeigt.)
    Ich kann zufrieden sein. Mein Bett ist breit, das sehe ich vom Whirlpool aus. Jetzt plötzlich bin ich mir ganz sicher, wo dieses flexible Ich sich befindet: im breitesten Bett – ich ganz allein hab es gemacht, hab’s mir gegraben, ich weiß, das traut man mir nicht zu, wenn man mich harmlos dahinplätschern sieht unter vermodernden Stämmen, Resten von Bäumen, die ich höchstpersönlich unterspült und umgerissen habe, zu Fall gebracht und mitgeschleift, bis sie sich beiläufig zwischen den Wänden meiner Fließwanne verkeilen. Ein Kompetenzzentrum für aufenthaltsbeendende Maßnahmen für Baumprojekte gewissermaßen. Ich bin schon zu einigem fähig. Nichts ist wichtiger als die rechtzeitige Beseitigung unliebsam Fußfassender. Es herrscht schließlich Krieg. Da kennen wir uns aus; wir haben all die Jahre nicht umsonst Schlachten geschlagen daheim vor unseren Bildschirmen. Krieg ist etwas, dessen Mechanismen wir von innen kennen, könnte man sagen, wir verwenden ausschließlich Uncut-Versionen, wir sind ja keine Kinder.
    Der linke der beiden Fensterputzer, die ich erst jetzt bemerke, zu beschäftigt mit was auch immer (manche werden auch zu spät beseitigt, dann kann man es ebenso bleiben lassen), schiebt seine dickrandige Schutzbrille nach oben und wischt sich die Stirn mit dem Ärmel ab. (Wenn sich die Baumprojekte bereits dem Ende ihrer natürlichen Lebensdauer und dem Wasser zuneigen.) Ich winke dem Putzmann zu, doch er scheint mich gar nicht zu bemerken, das Glas ist von außen beinahe opak, semitransparent, lässt ihn nur verschwommen, vermute ich, hinter der eigenen Silhouette die Konturen des Raumes mit mir darinnen wahrnehmen, er muss sich auf diese Bildebene konzentrieren, wenn er sie sehen will.

23
    Was soll ich mit meinen Tagen tun? Dort sitzt schon wieder Einsamkeit, die man zudecken muss, eingraben unter lauter Erleben, während Duncans Deal wie gewünscht über die Bühne zu gehen scheint: ich besuche die städtischen Museen, wozu ist man schließlich in einer Stadt, und fotographieren lassen kann man sich dabei ebenfalls vor wandelnden Dinosauriermaschinen zum Beispiel, auch nicht schlecht. Und wieder laufe ich am Meer entlang, nein, am See. Das passt Alexander nicht, wie mich der Haushofmeister stellvertretend wissen lässt, die Stellvertreterpose gefällt ihm gut, das kann man sehen, und er versucht mir einen Platz zuzuweisen, den er handhaben kann, ich verstehe ihn ja – weiß der Himmel, der weite Himmel über dem See, warum es mir immer noch nicht gelungen ist, ihn loszuwerden. Und wenn ich wirklich einmal etwas von ihm will, verweist er mich an den Portier. Immer nehme ich mir vor, radikale Schnitte zu setzen, einen Schnitt, genauer gesagt. Warum lässt Alexander mich so lange warten? So verfolge ich eben Duncans öffentliche Äußerungen, was ich früher nie getan hätte, und entdecke voller Häme, dass er Fehler macht bei der Abhandlung seiner Lieblingsthemen, Angeltechnik und wildwuchernder Staatsapparat, aufgeblähter Staatsbauch.
    Ich sitze ganz allein am höchsten Punkt des Turmes, von dem aus man eine Aussicht hat, die diesen Namen verdient; ein Turm, dessen exponierte Lage einlädt.

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