Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
Allein? Beinahe, und diese Einschränkung lässt mir schließlich keine Ruhe: ein verhuschter Mensch steht mir gegenüber und wartet darauf, dass ich irgendeine Reaktion zeige. Vermutlich will er sich dafür rächen, dass ich merke, wie unwohl er sich im eigenen Körper fühlt, dass ich nicht anders kann, als die Diskrepanz zwischen Innen und Außen, zwischen behaupteter Bestimmtheit und verräterischen Unbeholfenheiten wahrzunehmen, als da wären: ungeschickte Handhabung der Extremitäten, ein leichtes Sich-Vergehen, Unsicherheit beim Aufsetzen der Fersen, beim Abrollen der Sohle, schnelle kleine zustimmungsheischende Seitenblicke, die schon um ihre Vergeblichkeit wissen und den Ausdruck des Missmuts noch verstärken; dergleichen mehr, das ermüdend anzusehen ist und stellvertretend peinlich. Gegen das Alleinsein an und für sich habe ich nichts. Mit Ungeschicktheiten habe ich allerdings keine Geduld mehr. Und da komme ich wieder auf den Punkt: Hat man mir nicht versprochen, dass ich allein wäre in meinem Gefängnis? In so einer komfortablen Einzelzelle für die oberste Privatversicherungsstufe; wofür habe ich schließlich all die Jahre eingezahlt? Muss ich wohl was falsch verstanden haben.
Ich habe mich teuer verkauft, das wenigstens kann ich mir zugutehalten, wenn sich möglicherweise auch noch mehr hätte herausschlagen lassen, wer weiß. Aber man muss sparsam umgehen mit der Nutzungszeit des Zeitfensters, das so gegen den Strom vorüberschwimmt. Mit der Rahmenbedingung. Dabei empfinde ich etwas für Alexander, den jungen, schönen, tatkräftigen Mann, und was diese Empfindungen betrifft, so ist mir schon klar, dass sie hausgemacht sind, rahmenbedingungsabhängig, dass es die Situation ist, die Wohnung und der Umstand, dass wir einander zugefallen sind. Das ist der gesamte Gefühlswurzelstock.
Ich bin Alexander zugefallen wie ein Los, das ich habe ziehen müssen. Wir sind auf uns gestellt. Der zweite Mann: es liegt nicht an ihm, und er ist noch kein Haupttreffer, auch wenn ich sicher bin, dass er vorhat, einer zu werden. Ich muss ihn dazu machen, ganz einfach. Das Einverständnis, das in seinem Lächeln liegt, ist keine Täuschung.
Er überschätze meine Bedeutung, entgegne ich dem Haushofmeister, was ihn sichtlich irritiert, ich lege nach: natürlich sei das Interesse an meiner Person in sich zusammengefallen, sobald sich die einvernehmliche Neustrukturierung meiner ehelichen Verhältnisse abzeichnete. Alexander kennt man nicht, dafür hat er schon gesorgt. In Wahrheit hat sogar der Fototermin im Museum arrangiert werden müssen, und die Roboterechsen haben nicht funktioniert, soweit ist das öffentliche Interesse an mir wieder geschwunden, mir kann es recht sein. Ich kann ohne größeres Aufsehen den Strand entlanglaufen; so leicht lasse ich mich einschränken, dass ich nachdenke über die Vorgaben des Haushofmeisters, über Aufsehen oder sein Fehlen. (Das aktuelle Liftmädchen ist übrigens asiatisch, und ihr leises Kopfnicken hat immer etwas von einer Verbeugung.)
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Dennoch gehe ich dem Haushofmeister aus dem Weg, er beobachtet mich: wie du mich, so ich dich. Die Gärtnerin hätte mir vermutlich sagen können, wie man mit dieser anwachsenden kleinteiligen Bösartigkeit umgehen müsste, mir fehlt die Unantastbarkeit. (Ich denke an ihr Lachen, ihr quittierendes Lachen, das jeden Versuch beenden konnte, ihr blöd zu kommen. Da war was mit dem Jägermeister, ich kann es nur nicht mehr benennen.) Mich andauernd in jeder Interaktion mit anderen neu definieren zu müssen, eine Existenz zu behaupten, von der ich nicht genau weiß, wie sie aussehen, und schon gar nicht, wie sie sich von innen anfühlen müsste, ist so anstrengend, dass mir die Luft wegbleibt. Er scheint darauf zu warten, dass ich mich ihm zum Fraß vorwerfe. Biedermann is having me for dinner tonight , und ich sehe aus dem Fenster.
Meine Gefühle sind beliebig, sie wollen einfach da sein, aus sich selbst heraus, sind nicht objektorientiert, ihr Objekt ist austauschbar. Ich mache mir da nichts vor. Es könnte ein beliebiger Mann sein, richtig positioniert, mit annehmbarem Äußeren, ebensolchem Auftreten, zugegeben, ein paar Ansprüche habe ich schon, und die Konfiguration wäre ausreichend, die nachträgliche (postkoitale) Entwicklung von Gefühlen zu rechtfertigen. So einfach ist das: hat nichts zu bedeuten. Und ich denke nicht, dass es für ihn wesentlich anders ist. Er ist eine Mikrobe. Eine sehr ehrgeizige allerdings, und ich schleuse ihn
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