Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
durch die Membran. Ich stülpe meine Gefühle also über einen zufällig des Weges kommenden Mann, und siehe da, sie passen ihm, und wer bin ich zu sagen: der hat ja gar nichts an.
Die Lüftungsklappen unter den Fenstern schließen nicht, der sich aufwärmende aufsteigende Luftstrom sammelt sich darunter und drückt mit aller Macht gegen die Abdeckung, die aussieht wie ein ganz gewöhnliches hölzernes Fensterbrett, wenn auch die Tendenz zum Nachgeben eine Sandsackbeschwerung nahelegt (damit ich nicht abhebe). Manchmal stelle ich mir vor, der Haushofmeister füllte meine ansonsten völlig leere Körperhülle mit Sand, so wie das Biermännchen sich selbst aus dem Glas: so schwer bin ich. Biermännchen, alte Welt? Die Verschlusshaken der Abdeckung rasten jedenfalls nicht mehr richtig ein. Ich hätte den Mechanismus ruiniert, sagt der Haushofmeister nur, als ich ihn darauf aufmerksam mache, endlich zufrieden, eine Verwendung für ihn gefunden zu haben: das Reparieren der Abdeckung, Biedermännchen. Die Antwort macht mich sprachlos, er dreht sich um und geht davon, nur das kleine Einknicken in den Knien zeigt, dass er sich meines Blickes bewusst ist. Aber vielleicht hat die Gehfehlleistung gar nichts mit mir zu tun. Das Rauschen der Zugluft bleibt mir erhalten. Aber dem werde ich beikommen, selbst wenn ich einsehe, dass ich dieses Spiel nicht allein spielen kann, dazu werde ich leider auf die Rückkehr des kleinen Vizekönigs warten müssen. Aber dann soll er von der höchsten Zinne fallen. Vom höchsten Galgen baumeln, den ich höchstpersönlich aufstellen lassen werde.
Den wuchernden Trieben bin ich allein überlassen, und sie greifen nach mir (fleischfressend). Ich verzehre mich, dazu habe ich Zeit genug. Soll heißen, ich beginne, meinen Körper aufzuessen. Die Haut an den Fingern. Die Innenseite der Mundhöhle. Alles, was man so nebenbei aufessen kann.
Und wie ich mich gerade mit diesem Spiel vergnüge: Turm Zinne Galgen, ruft Alexander an, und ich höre seine Stimme auf einer überraschend verrauschten Leitung, klar, denke ich, sie muss ja durch das Meer gelangen, oder an ihm vorbei, durch das ganze unterirdische Transportröhrensystem, oder von Satellit zu Satellit springen, auch das wäre möglich und würde den Geräuschbeifang erklären, und ich versichere ihm, dass ich viel an diese Nacht dächte. Schön, sagt er, das freue ihn, und dass die Situation vor Ort schwierig sei, schwieriger als angenommen. Und Duncan fange an, sich zu verzetteln, Alexander lacht versuchsweise, man könne sagen, Duncan scheine Sentimentalitäten zu entwickeln (Fischgründe in Gebirgsflüssen).
Duncan? frage ich ungläubig, und dabei freue ich mich so sehr über seinen Wunsch, mich in seine Überlegungen einzubeziehen, zumindest publikumsseitig, dass der Druck steigt, jetzt etwas Vernünftiges von mir zu geben, dann sage ich: ja, ich weiß, dabei habe ich keine Ahnung, wovon er redet, nicht einmal, ob ich ihm trauen kann, und prompt fragt Alexander, was ich denn wisse. Das Vatersein steigt ihm zu Kopf, nehme ich einmal an, dann falle ich mir selbst ins Wort: Vor allem aber will ich nicht über Duncan reden, ich kann den Namen nicht mehr hören, ich habe ihn gestrichen aus meinem Leben, das schreie ich fast und es schüchtert Alexander ein, was mir Oberwasser verleiht. Und um ihm zu zeigen, was ich gelernt habe, lasse ich eine längere Abhandlung folgen über Holdingstrukturen, Aufsichtsräte, Kennzahlen und sonstige Signifikanzen.
Dahinter lauern schon wieder Gedanken an diese Nacht, an diesen kurzen Augenblick haltlosen Ineinanderverkrallens; ich muss sagen, dass ich langsam zu erkennen beginne, dass es strategisch gar nicht so unklug ist, mir die Zeit zu lassen, in Erinnerung zu baden und mich selbst auf kleiner Flamme zu rösten. Nicht mit mir, sage ich, und dass ich ihn wieder haben will, dass ich das Warten leid bin (er lacht). Wenn ich schon zum Stellvertreter abgestiegen bin, sage ich, von mir aus auch zum ersten Stellvertreter (er schweigt eisern), will ich wenigstens was davon haben (seine Jugend, seine Entschlossenheit, sein Potential). Sonst, führe ich aus, beschäftige ich mich viel zu viel mit der Vergangenheit, und das führt zu nichts Brauchbarem, statt dass ich nach vorne blicke und mir überlege, wie wir einander ergänzen und unterstützen können. Wo das hinführen kann und wie wir es am Besten anstellen, unsere Ziele zu erreichen, und die liegen, das war mir bei seinem Anblick sofort klar, in derselben
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