Die Königin ist tot: Roman (German Edition)
entschlossen, gestern noch (ich hatte klare Absichten). Glaube ich wenigstens. Was Duncan gegen Alexander in der Hand hat: die Unterschiebungssache kann ja nicht das einzige sein, wenn sie auch das Interessanteste, will sagen, Verwertbarste ist, von dem ich weiß.
Ich mache mir da gar nichts vor, mit Vorbedacht und Berechnung habe ich die Seiten gewechselt, das darf ich nicht vergessen. Und schon gar nicht darf ich vergessen, was dieser Seitenwechsel bedeutet: einen neuen Blickpunkt, einen neuen Feldherrenhügel, von dem aus sich das Geschehen rundherum betrachten lässt. Klare Absichten und ebensolche Aussichten: man könnte sich fragen, warum dieses Freiheitsgleichheitswerk so gründlich gegen die Wand gefahren wird, und zwar frontal. Hier wie dort. Wenn die Antwort nicht so simpel wäre: das einzige, worauf man sich verlassen kann, ist die Ungleichheit. Die Konsequenz kann nur sein, dafür zu sorgen, dass man auf der richtigen Seite dieser Ungleichung steht.
Und jetzt, angesichts eines schief zum Lächeln verzogenen Mundwinkels, angesichts der Lippen, die voll sind und saftig, nichts von kühler Klarheit, im Gegenteil. Ziemlich weit innen berührt nur wegen dem bisschen Grenzüberschreitung in einem nächtlichen Abgrund, so schnell geht das, muss ich feststellen. Über dem Abgrund. Der Abgrund ist mir allerdings nahe. Verletzbar nur wegen ein wenig Sex, der ja bei jedem ersten Mal ein unvermittelter und etwas unbeholfener Brückenschlag ist über sämtliche Sicherheitsabstände hinweg. Mein Körper denkt ausschließlich daran, dass und wie er die Sache wiederholen will, und Alexander weiß das, er steht vor mir und lächelt und lässt meine Fingerspitzen fallen.
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Ich machte meinen Frieden mit Beatrice. Nur dass der Haushofmeister immer noch herumschlich, missfiel mir, immer unter neuen Vorwänden und angeblichen Aufträgen Alexanders für die Wohnungsinstandsetzung, Spionagetätigkeit, die er nicht einmal zu kaschieren versuchte. Und wer der Auftraggeber war, war offensichtlich. Duncans liebste Anchorfrau zeigte uns in der Zwischenzeit die neuesten Angriffe gegen die Freiheit der Wirtschaftstreibenden. Ann. Ich fand auf einmal Gefallen daran, sie zu begutachten: Sie berichtete von einem Angehörigen einer Spezialeinheit, und warum Mut und Aufopferung die Basis unserer Gesellschaft seien. Ein Lächeln, elektrisierend und verbindlich, als ob sie mich persönlich meinte. So weit habe ich es nicht gebracht, ich weiß. Sitze nur da und warte vor diversen Bildschirmen, während die Werbeunterbrechungen die Zeit einteilen. Was soll da weitergehen. Sie weiß genau wie ich, dass das einzige, worauf es ankommt, das eigene Vorankommen ist, doch darauf kann ich mich im Augenblick nicht konzentrieren.
Stattdessen denke ich über die Nacht nach. Alexander ist abgereist, aufgebrochen zu irgendeinem Fischzug oder Feldzug, für den Duncan ihn unbedingt braucht (tief im chinesischen Fernsehmeer), so kann ich jedes Detail an die Oberfläche holen und grell von allen Seiten ausleuchten, krank ist das und vor allem: es führt zu nichts, das weiß ich schon, dennoch: in meiner Erinnerung kann ich beliebig navigieren. Ich kann mich bewegen, wie ich will, und ich muss mir die Vermutung nicht näher ansehen, dass er in der Zwischenzeit die privaten Verhältnisse regelt. Es steht mir allerdings frei, das zu tun. Es ist nicht davon auszugehen, dass er bis hierher beziehungsmäßig unabgesättigt geblieben ist. Ein Mann wie Alexander kann nicht lange alleine bleiben, zu sehr entspricht er dem Anforderungsprofil. Auch wenn er diesbezüglich keinerlei Information durchsickern hat lassen; zu dumm, dass ich vergessen habe, Duncan danach zu fragen, damals, als die Gelegenheit günstig war. Ich muss mich doch wundern über diese Fehlleistung. Als Duncan endlich den Mund aufgemacht hat und mitteilsam geworden ist, das wäre der Moment gewesen herauszufinden, was denn Alexanders Knackpunkt sein könnte: Männer? Kinder? Irgendjemand muss diese Idee schließlich naheliegend gefunden haben.
Nein, da ist kein Hund begraben, nirgendwo. Höchstens an eine Platzhalterin könnte ich glauben, gesellschaftlich möglicherweise nicht ganz das Richtige, deshalb vorsorglich unausgestellt, und mit dem Ausstellen habe ich Erfahrung. Dann gibt es zwei Möglichkeiten, eine vorübergehende Lösung oder die nebenherlaufende. Beides könnte mir egal sein, ein bisschen Großzügigkeit werde ich aufbringen, doch ich muss zugeben, dass mir die zweite Variante nur
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