Die Königin von Theben
nicht ganz sicher!«
»Ich habe nicht das Recht, alles für bare Münze zu nehmen, Seqen. Das wäre naiv.«
Mit tiefem Ernst betrachtete die Prinzessin die vier Leichname. »Die erste Schlacht, die wir gewonnen haben … Ist das nicht ein ganz besonderer Augenblick? Diese Hyksos haben uns als leichte Beute angesehen, Leute, die man einfach so niedermetzeln kann, und jetzt liegen sie selbst hier, tot … Möge ihr verfluchter König sich genauso irren!«
»Unsere Armee besteht bis jetzt nur aus einer Prinzessin, einem Esel und einem frisch gebackenen Krieger«, sagte Seqen.
Ahotep legte dem jungen Mann sanft die Hand auf die Schulter. »Verstehst du denn nicht, dass der gute Zauber jetzt auf uns übergegangen ist? Wir lassen uns nicht länger unterjochen, wir kämpfen und wir siegen!«
Eine seltsame Erregung überkam Seqen. »Prinzessin, ich …«
»Aber du zitterst ja! Das ist die Reaktion auf den Kampf … Es geht vorbei.«
»Prinzessin, ich wollte Euch sagen …«
»Wir sollten die Leichen nicht hier liegen lassen. Komm, wir ziehen sie ins Schilf, ans Nilufer. Geier, Krokodile und Ratten sorgen schon dafür, dass sie verschwinden.«
Ahotep und Seqen wanderten, immer hinter Nordwind her, in einem großen Bogen östlich von Theben an der Grenze zwischen Wüste und bebautem Land entlang, dann wandten sie sich wieder zum Fluss in der Hoffnung, ein Schiff besteigen zu können, das sie etwa dreißig Kilometer nach Süden bringen würde, nach Gebelein.
Ahotep war erstaunt, dass sie nur so wenige Bauern sah, die ihre Felder bestellten. Sehr viele Felder waren verwahrlost, und man hörte auch nicht den Ton der Flötenspieler, die einst den Rhythmus der Arbeit angegeben hatten. Offensichtlich hatten die Menschen den Antrieb verloren, sich um ihre Feldfrüchte zu kümmern, und begnügten sich mit dem Allernotwendigsten.
Die Reisenden trafen weder auf Soldaten noch auf Ordnungshüter. Die Gegend um Theben war sich selbst überlassen, ohne irgendeinen Schutz. Wenn die Hyksos sich zu einem Angriff auf die Stadt Amuns entschließen sollten, würden sie nirgends mehr auf Widerstand stoßen.
Entsetzt und voller Zorn wurde sich Ahotep der ganzen Schwere der Lage bewusst. Die letzte freie Provinz Ägyptens lag am Boden und schien nur noch auf das Vordringen der Eroberer zu warten.
Nordwind verließ einen Pfad, auf dem sie allzu gut sichtbar waren, und suchte sich einen Weg zwischen dichten Büscheln von Papyrus. In einiger Entfernung vom Flussufer blieb er, hinter einer hohen Böschung gut versteckt, plötzlich stehen.
Ahotep und Seqen verstanden bald die Gründe für sein vorsichtiges Verhalten: Mitten auf dem Nil schaukelte ein Kriegsschiff der Hyksos! Und an Bug und Heck standen Männer, die mit scharfen Augen das Ufer absuchten.
Völlig ungehindert bewegte sich die Flotte der Eroberer also in Richtung Nubien, und mit spöttischem Blick der Soldaten glitt sie an dem ohnmächtigen Theben vorüber!
»Gehen wir lieber durch die Wüste«, schlug Seqen vor. »Sonst entdeckten sie uns zu schnell.«
Im Schutz eines über zehn Meter hohen, dichtbelaubten Johannisbrotbaums beobachteten die beiden Thebaner von fern die Hyksosfestung Gebelein.
Ahotep und Seqen lagen Seite an Seite im Gras, und die Verblüffung verschlug ihnen die Sprache.
Wer hätte gedacht, dass so etwas Monströses in nächster Nähe von Theben existierte?
Dicke Mauern, ein Wehrgang, Vierkanttürme, Gräben … Es war ein eindrucksvolles Bauwerk aus Ziegelstein, vor dem einige Soldaten sich im Lanzenwerfen übten.
Nie zuvor hatte es in Ägypten solch massive Festungsbauten gegeben.
»Und es ist nicht nur Gebelein«, flüsterte Seqen. »Könnt Ihr Euch Auaris vorstellen, Prinzessin?«
»Wenigstens wissen wir jetzt, wogegen wir anrennen.«
»Diese Festung ist uneinnehmbar … Und wie viele ihrer Art gibt es, im ganzen Land?«
»Wir werden eine nach der anderen zerstören.«
Zwei der asiatischen Soldaten hörten auf mit dem Lanzenwerfen und sahen in Richtung des Johannisbrotbaums.
»Sie haben uns entdeckt!«
»Das Laub verdeckt uns«, widersprach Ahotep. »Rühr dich nicht!«
Die beiden Soldaten kamen auf den Baum zu.
»Wenn wir zu fliehen versuchen«, flüsterte Seqen, »werden sie uns das Rückgrat brechen, und wenn wir hier bleiben, spießen sie uns mit ihren Lanzen auf.«
»Du nimmst den Großen, ich den Kleineren.«
»Sobald es losgeht, werden ihre Kameraden auf uns aufmerksam, wir haben nicht die kleinste Chance. Aber ich werde
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