Die Königliche (German Edition)
wieder die Hand an die Wand rechts von uns. So müsste es gehen. Oh«, sagte sie bestürzt. »Außer wir treffen auf eine weitere Insel. Dann müssen wir wieder von vorne anfangen und uns außerdem genau merken, was wir schon gemacht haben. Mist. Wir hätten irgendwelche Markierungen mitbringen sollen, um sie im Gang anzubringen.«
»Warum versuchen wir es nicht einfach, Königin«, sagte Fox, »und sehen, wie es läuft?«
Es war ziemlich verwirrend. Labyrinthe waren etwas für Katsa mit ihrem übermenschlichen Orientierungssinn oder Bo, der durch Wände hindurchsehen konnte. Zum Glück hatte Fox in weiser Voraussicht eine Lampe mitgebracht. Nachdem sie genau dreiundvierzigmal mit der Hand an der rechten Wand abgebogen waren, stießen sie mitten in einem Gang auf eine Tür.
Die Tür war natürlich verschlossen.
»Nun«, sagte Bitterblue, als Fox sich wieder hinkniete und mit ihrem geduldigen Stochern begann, »wenigstens wissen wir, dass diese hier nicht von innen vernagelt sein kann. Außer irgendjemand hat beide Türen barrikadiert und ist dort dringeblieben, um zu sterben, und wir finden gleich seinen verwesten Leichnam«, sagte sie und kicherte über ihren makabren Witz. »Oder«, fügte sie mit einem Ächzen hinzu, »es gibt noch einen dritten Weg aus Lecks Zimmer. Einen Geheimgang, den wir noch nicht kennen.«
»Geheimgang, Königin?«, fragte Fox geistesabwesend, das Ohr an die Tür gepresst.
»Das Schloss ist anscheinend voll davon, Fox«, sagte Bitterblue.
»Ich hatte keine Ahnung, Königin.« Ein leises Klicken ertönte. Als Fox den Griff packte und drückte, schwang die Tür auf.
Mit angehaltenem Atem, ohne genau zu wissen, wogegen sie sich wappnen sollte, was sie aber trotzdem tat, betrat Bitterblue ein dunkles Zimmer voller großer Schatten. Die Schatten hatten eine so menschliche Form, dass sie aufkeuchte.
»Skulpturen, Königin«, sagte Fox ruhig hinter ihr. »Ich glaube, das sind Skulpturen.«
Das Zimmer roch nach Staub und hatte keine Fenster. Es war riesig, quadratisch und unmöbliert, abgesehen von einem einzelnen riesigen, leeren Bettgestell mitten im Zimmer. Den übrigen Platz belegten die Skulpturen auf Sockeln; es mussten ungefähr vierzig sein. Mit Fox und der Laterne zwischen ihnen hindurchzugehen war ein wenig, wie wenn man nachts zwischen den Sträuchern im großen Schlosshof hindurchging, denn sie ragten genauso neben einem auf und wirkten alle, als würden sie jeden Moment lebendig werden und loslaufen.
Bitterblue erkannte die Skulpturen als Werke von Bellamew. Tiere, die sich in andere Tiere verwandelten; Menschen, die sich in Tiere verwandelten; Menschen, die sich in Berge oder Bäume verwandelten; alle voller Leben, Bewegung und Gefühl. Dann fiel der Lichtschein auf einen seltsamen Farbfleck und Bitterblue stellte fest, dass etwas ungewöhnlich an den Skulpturen war. Nicht nur ungewöhnlich, sondern falsch: Jemand hatte sie mit knallbunter greller Farbe in allen möglichen Tönungen beschmiert, mit Farbe, die den ganzen Teppich bespritzt hatte.
Sie hatte in diesem Zimmer Folterwerkzeuge erwartet. Oder eine Sammlung Messer. Blutflecken. Aber keine ruinierten Kunstwerke, die auf einem ruinierten Teppich rund um das Skelett eines Bettes aufgestellt waren.
Er hat die Skulpturen in seinem Zimmer zerstört. Warum?
Die Wände waren rundherum mit fortlaufenden Wandbehängen bedeckt. Eine Wiese, die sich in Wildblumen verwandelte und dann in einen dichten Wald mit Bäumen, die wieder Platz machten für Wildblumen und erneut zu der Wiese führten, mit der das Ganze angefangen hatte. Bitterblue berührte den Wald an der Wand, um sich zu vergewissern, dass er nicht echt war, sondern nur ein Wandbehang. Staub wirbelte auf; sie nieste. Sie sah eine winzige Eule, türkis und silberfarben, die im Geäst eines der Bäume schlief.
In der Rückwand des Raumes befand sich eine Tür. Sie führte zu nichts weiter als einem zweckmäßigen, kühlen, gewöhnlichen Badezimmer. Hinter einer weiteren Tür lag ein Wandschrank, leer und überaus staubig. Bitterblue konnte gar nicht wieder aufhören zu niesen.
Ein dritter Durchgang in der Rückwand, eine einfache türlose Öffnung, führte zu einer Wendeltreppe, die sich nach oben schlängelte. Am Kopf der Treppe befand sich eine Tür, die so vollständig mit Brettern vernagelt war, dass man die Tür selbst kaum sehen konnte. Bitterblue klopfte und rief Heldas Namen. Als Helda ihr Rufen erwiderte, war ihre Frage beantwortet: Dies war die Treppe, die
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