Die Königliche (German Edition)
zog durch Monsea, schließlich in Gesellschaft solcher wie Danzhol. Jetzt versucht sie Wahrheit zu sagen. Du solltest sie wirklich kennenlernen.
Also gut , antwortete Bitterblue Bo mürrisch in Gedanken. Ich treffe deine Freundin, die zwanghafte Lügnerin. Ich bin sicher, wir werden uns ausgezeichnet verstehen.
In dieser Nacht machte sich Bitterblue mit einer Lampe in der Hand auf den Weg in die Kunstgalerie. Da sie den kürzesten Weg nicht kannte, aber wusste, dass die Galerie in der obersten Etage mehrere Stockwerke über der Bibliothek lag, ging sie durch Flure mit Glasdächern südwärts. Winzige Eisstückchen schlugen über ihr auf das Glas.
Dann blieb Bitterblue wie angewurzelt stehen, weil jemand auf allen vieren auf dem Glas über ihr hockte und die Scheibe mit einem Lappen polierte – mitten in der Nacht in der Kälte auf dem Dach, in gefrierendem Regen. Es war natürlich Fox. Als sie die Königin unter sich sah, hob sie die Hand zum Gruß.
Ihre Gabe ist Wahnsinn , dachte Bitterblue, als sie ihren Weg fortsetzte. Heller Wahnsinn.
Die Kunstgalerie ähnelte der Bibliothek, wie Bitterblue feststellte, als sie sie gefunden hatte. Auf dem Weg von einem Raum in den anderen musste man immer wieder abbiegen und die Richtung wechseln, was ihren Orientierungssinn durcheinanderbrachte. Im Licht ihrer einzelnen Lampe waren die leeren weitläufigen Räume und das Aufblitzen von Farbe an den Wänden unheimlich und bedrohlich. Der Fußboden war aus Marmor, aber ihre Schritte verursachten kaum ein Geräusch. Sie musste dauernd niesen und fragte sich, ob es daran lag, dass sie auf einer dicken Staubschicht ging.
Bitterblue blieb vor einem riesigen Wandbehang stehen, der ganz eindeutig Gemeinsamkeiten mit denen aufwies, die sie bereits gesehen hatte. Er stellte eine Reihe heller, farbenfroher Wesen dar, die einen Mann angriffen, der auf einer Klippe über dem Meer stand. Alle Tiere in der Szene hatten eine Farbe, die sie in Wirklichkeit nicht hatten, und Bitterblue dachte, dass der Mann, der vor Schmerzen schrie, Leck sein könnte. Er trug keine Augenklappe und seine Züge waren undeutlich, aber irgendwie vermittelte ihr der Wandbehang trotzdem diesen Eindruck.
Bitterblue war es langsam leid, dass ihr die Kunst in ihrem Schloss so naheging.
Sie ließ den Wandbehang hinter sich zurück, durchquerte den Raum, trat eine Stufe hinauf und fand sich in der Skulpturensammlung wieder. Als ihr wieder einfiel, weshalb sie hergekommen war, musterte sie jede Skulptur sorgfältig, ohne zu finden, wonach sie suchte. »Hava«, sagte sie leise. »Ich weiß, dass du hier bist.«
Einen Moment lang passierte gar nichts. Dann war ein Rascheln zu hören und eine Statue im hinteren Teil des Raumes verwandelte sich in ein Mädchen mit hängendem Kopf. Bitterblue kämpfte gegen ihre aufsteigende Übelkeit an. Das Mädchen weinte und wischte sich mit einem zerrissenen Ärmel übers Gesicht. Sie trat einen Schritt auf Bitterblue zu, verwandelte sich wieder in eine Skulptur und wurde dann wieder zu einem Mädchen.
»Hava«, sagte Bitterblue verzweifelt im Versuch, nicht zu würgen. »Bitte, hör auf damit.«
Hava kam zu Bitterblue und fiel vor ihr auf die Knie. »Vergeben Sie mir, Königin«, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. »Als er es mir erklärt hat, klang es irgendwie sinnvoll, wissen Sie? Er hat das Wort Entführung nicht benutzt. Aber ich wusste trotzdem, dass es nicht richtig war, Königin«, rief sie. »Ich habe mich darauf gefreut, das Boot tarnen zu können, weil das eine größere Herausforderung ist, als mich selbst zu tarnen. Das geht nicht allein mit meiner Gabe. Das erfordert Kunstfertigkeit!«
»Hava.« Bitterblue beugte sich zu ihr hinab, ohne zu wissen, was sie einer zwanghaften Lügnerin sagen sollte, die wahrhaftig litt. »Hava!«, rief sie, als das Mädchen nach ihrer Hand griff und sie nass weinte. »Ich vergebe dir«, fügte sie hinzu, ohne dass das wirklich von Herzen kam, aber sie hatte das Gefühl, dass Vergebung nötig war, um Hava zu beruhigen. »Ich vergebe dir«, sagte sie. »Du hast mir seitdem schon zweimal das Leben gerettet, weißt du noch? Atme tief durch, Hava. Beruhige dich und erkläre mir, wie deine Gabe funktioniert. Veränderst du wirklich etwas in dir selbst oder ist es meine Wahrnehmung der Dinge, die du veränderst?«
Als Hava ihr Gesicht hob, sah Bitterblue, dass es ein ziemlich hübsches Gesicht war. Offen wie Holts, verzweifelt und verängstigt, aber so lieblich, dass es eine Schande
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