Die Königliche (German Edition)
labile Seele nehmen würde, wenn er erführe, dass sie geheime Schriften von Leck gefunden hatte? Sie war wütend auf ihn gewesen, weil er die Wahrheit vor ihr verborgen hatte, und stellte jetzt fest, dass sie dasselbe tat.
Rood war zurück, schlurfte langsam herum und atmete flach. Darby dagegen lief schwungvoll durch die Schreibzimmer, treppauf und treppab, warf mit Papier und Wörtern um sich, hatte eine Weinfahne und brach schließlich eines Tages auf dem Boden vor Bitterblues Schreibtisch zusammen.
Er redete unverständliches Kauderwelsch, während sich Heiler um ihn kümmerten. Als sie ihn aus dem Zimmer trugen, stand Thiel wie erstarrt da und sah aus dem Fenster. Seine Augen schienen auf etwas gerichtet zu sein, das gar nicht da war.
»Thiel.« Bitterblue wusste nicht, was sie sagen sollte. »Thiel, kann ich irgendetwas für Sie tun?«
Es machte erst den Eindruck, als hätte er sie nicht gehört. Dann wandte er sich vom Fenster ab. »Darbys Gabe hält ihn davon ab, so zu schlafen wie wir, Königin«, sagte er leise. »Sich bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken ist manchmal seine einzige Möglichkeit, den Verstand abzuschalten.«
»Es muss doch etwas geben, das ich tun kann, um ihm zu helfen«, sagte Bitterblue. »Vielleicht sollte er eine etwas weniger anstrengende Arbeit zugeteilt bekommen oder sich sogar zur Ruhe setzen.«
»Die Arbeit tröstet ihn, Königin«, sagte Thiel. »Arbeit tröstet uns alle. Das Beste, was Sie für uns tun können, ist, uns zu gestatten, weiterzuarbeiten.«
»Ja«, sagte sie, »ist gut«, denn Arbeit hielt auch ihre Gedanken davon ab, unkontrolliert zu kreisen. Sie konnte ihn verstehen.
An diesem Abend saß sie mit zweien ihrer Spione, die ihr beim Entschlüsseln der Chiffren halfen, auf dem Fußboden ihres Schlafzimmers. Sie hatten die Bücher offen vor sich liegen, während sie Vermutungen anstellten und diskutierten und dabei Erschöpfung und Enttäuschung teilten. Bitterblue war zu entkräftet, um zu merken, wie entkräftet sie war und wie überfordert von der Aufgabe.
Aus den Augenwinkeln nahm sie eine große Gestalt in der Tür wahr. Als sie sich umdrehte und versuchte, dabei den Faden nicht zu verlieren, sah sie Giddon im Türrahmen lehnen. Hinter ihm stand Bann und legte das Kinn auf Giddons Schulter.
»Können wir Sie dazu bringen, uns Gesellschaft zu leisten, Königin?«, fragte Giddon.
»Was machen Sie gerade?«
»Wir sitzen in Ihrem Wohnzimmer«, sagte Giddon. »Reden über Estill. Lästern über Katsa und Bo.«
»Und Raffin«, sagte Bann. »Es gibt Schmandkuchen.«
Der Kuchen war natürlich ein Anreiz, aber vor allem wollte Bitterblue wissen, was Bann so sagte, wenn er über Raffin lästerte. »Ich komme hier sowieso nicht weiter«, räumte sie müde ein.
»Sehen Sie, und wir brauchen Sie«, sagte Giddon.
Sie stolperte beinahe in ihren Hausschuhen, als sie sich zu ihnen gesellte.
»Insbesondere brauchen wir Sie dazu, faul auf dem Sofa zu liegen«, sagte Bann, als sie das Wohnzimmer betraten.
Das kam Bitterblue verdächtig vor, aber sie fügte sich und war äußerst dankbar, als Helda aus dem Nichts auftauchte und ihr einen Teller mit Kuchen auf den Bauch stellte.
»Wir haben einiges Glück mit militärischen Überläufern im Süden Estills«, hob Giddon an.
»Diese Himbeerfüllung ist ein Traum«, sagte Bitterblue inbrünstig, dann schlief sie mit Kuchen im Mund und der Gabel in der Hand ein.
Madlen und Saf waren beinahe zwei Wochen weg. Als sie zurückkehrten, bahnten sie sich mit über fünftausend Knochen und wenigen Antworten einen Weg durch den Novemberschnee.
»Es ist mir gelungen, drei oder vier fast vollständige Skelette zu rekonstruieren, Königin«, sagte Madlen. »Aber hauptsächlich habe ich Einzelteile und weder genug Zeit noch Platz, um herauszufinden, welche zusammengehören. Ich habe keine Brandmale gefunden, aber einige Sägespuren. Ich glaube, wir haben hier Hunderte von Leuten vor uns, aber Genaueres kann ich nicht sagen. Wir wäre es, wenn wir morgen den Gips abnehmen?«
»Das ist die erste gute Nachricht seit …« Bitterblue versuchte zurückzurechnen und gab schließlich auf. »Ewig«, sagte sie mürrisch.
Als sie die Krankenstation verließ und den großen Schlosshof betrat, stand sie Saf gegenüber. »Oh!«, sagte sie. »Hallo.«
»Hallo«, erwiderte er, ebenfalls überrascht.
Er war offensichtlich gerade im Begriff, zum Abdichten der Fenster auf die Plattform zu klettern und sie mit Fox zusammen auf die
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