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Die Königliche (German Edition)

Die Königliche (German Edition)

Titel: Die Königliche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Cashore
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Arme fest um sich geschlungen, und hörte zu.
    Sie machte sich Sorgen um Todd, der die Worte als Erster und ohne jede Schonung zu lesen bekam; der sich jeden Tag stundenlang damit quälte. »Vielleicht reicht es ab einem gewissen Punkt«, sagte sie zu ihm – ungläubig, dass solche Worte aus ihrem eigenen Mund kamen –, »wenn wir wissen, dass er ein grausamer Mann war, der verrückte Dinge getan hat. Vielleicht kommt es auf die Einzelheiten nicht an.«
    »Aber das ist Geschichte, Königin«, sagte Todd.
    »Nein, ist es nicht«, erwiderte Bitterblue. »Noch nicht. In hundert Jahren wird es Geschichte sein. Jetzt ist es unsere eigene Vergangenheit.«
    »Unsere eigene Vergangenheit zu kennen ist sogar noch wichtiger, als die Geschichte zu kennen, Königin. Versuchen Sie nicht, in diesen Büchern Antworten auf heutige Fragen zu finden?«
    »Doch«, sagte sie und seufzte. »Können Sie wirklich ertragen, sie zu lesen?«
    »Königin«, sagte Todd, legte die Feder weg und sah ihr direkt ins Gesicht, »ich habe fünfunddreißig Jahre lang außerhalb davon gelebt. Fünfunddreißig Jahre lang habe ich versucht herauszufinden, was er da tat und warum. Das hier füllt die Lücken für mich.«
    Für Bitterblue schuf es Lücken, Lücken in ihrer Fähigkeit, Gefühle zu empfinden. Große Leerstellen, wo etwas war, das sie nicht verarbeiten konnte, denn es zu verarbeiten hätte bedeutet, zu viel zu wissen oder verrückt zu werden. Wenn sie jetzt in den unteren Schreibzimmern stand und die dortigen Schreiber und Wachen, Darby, Thiel und Rood beobachtete, die mit leerem Blick ihren Beschäftigungen nachgingen, verstand sie etwas, das Runnemood einmal gesagt hatte, als sie ihn zu sehr bedrängt hatte. War die Wahrheit es wert, den Verstand zu verlieren?
    »Ich will das nicht mehr machen«, sagte Bitterblue eines Abends zu Giddon, immer noch zitternd. »Sie haben eine schöne Stimme, wissen Sie das? Wenn wir hiermit weitermachen, vergällt mir das Ihre Stimme. Ich muss die Worte entweder selbst lesen oder sie aus dem Mund von jemandem hören, mit dem ich nicht befreundet bin.«
    Giddon zögerte. »Ich mache das, weil ich Ihr Freund bin, Königin.«
    »Ich weiß. Aber ich finde es furchtbar und Ihnen geht es genauso, und es gefällt mir nicht, dass wir allabendlich etwas Furchtbares zusammen machen.«
    »Ich bin nicht damit einverstanden, dass Sie es alleine tun«, sagte Giddon stur.
    »Unter den Umständen ist es gut, dass ich Ihre Erlaubnis nicht brauche.«
    »Legen Sie eine Pause ein, Königin«, sagte Bann, der sich auf ihrer anderen Seite niederließ. »Bitte. Lesen Sie einmal die Woche einen größeren Stapel, anstatt jeden Tag kleine quälende Abschnitte. Wir lesen weiter mit Ihnen.«
    Das klang nach einer guten Idee – bis die Woche vergangen war und der Tag kam, an dem sie lesen musste, was sich in sieben Tagen an Übersetzungen angesammelt hatte. Nach zwei Seiten konnte Bitterblue nicht mehr weitermachen.
    »Hören Sie auf«, sagte Giddon. »Hören Sie einfach auf zu lesen. Sie werden krank davon.«
    »Ich glaube, er bevorzugte weibliche Opfer«, sagte Bitterblue, »weil er zusätzlich zu den anderen Experimenten, die sie erleiden mussten, bei ihnen Experimente im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Babys durchführte.«
    »Das sollten nicht Sie lesen«, sagte Giddon, »sondern jemand anders, der keine Rolle in dieser Geschichte hatte und Ihnen dann die Dinge sagt, die eine Königin wissen muss. Todd kann das machen, während er übersetzt.«
    »Ich glaube, er hat sie vergewaltigt«, fuhr Bitterblue fort – allein, kalt, ohne zuzuhören –, »sie alle in seinem Krankenhaus. Ich glaube, er hat meine Mutter vergewaltigt.«
    Giddon riss ihr die Blätter aus der Hand und warf sie durch den Raum. Erschrocken, weil sie damit nicht gerechnet hatte, sah Bitterblue ihn deutlicher als zuvor, sah, wie er mit zusammengepresstem Mund und blitzenden Augen vor ihr aufragte, und bemerkte, dass er wütend war. Ihr Blick fokussierte sich wieder und das Zimmer um sie herum nahm Gestalt an. Sie hörte das knisternde Feuer, Bann und Heldas Schweigen, die am Tisch saßen und angespannt und unglücklich zu ihnen herübersahen. Es roch nach Holzfeuer. Bitterblue wickelte sich in eine Decke. Sie war nicht allein.
    »Nennen Sie mich bei meinem Namen«, sagte sie leise zu Giddon.
    »Bitterblue«, sagte er genauso leise, »ich bitte Sie. Bitte hören Sie auf, die wahnsinnigen Tiraden Ihres Vaters zu lesen. Das bekommt Ihnen nicht.«
    Sie

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