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Die Königliche (German Edition)

Die Königliche (German Edition)

Titel: Die Königliche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Cashore
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weil ich es mal ausprobiert habe. Glaub mir«, sagte er mit einem Augenrollen und einer resignierten Handbewegung, »ich habe alles ausprobiert.«
    »Klar«, sagte Bitterblue. »Immerhin weiß ich, dass es nicht die Gabe ist, glaubhaft zu lügen. Ich glaube dir nämlich nicht.«
    »Ich belüge dich nicht, Sparks«, sagte Saf, ohne besonders beleidigt zu klingen.
    Bitterblue versank wieder in Schweigen und ging weiter. Sie hatte die Oststadt noch nie bei Tageslicht gesehen. Ein Blumenladen aus schmutzigem Stein neigte sich gefährlich zur Seite. Er wurde von hölzernen Strebepfeilern abgestützt und war an einigen Stellen mit leuchtend weißer Farbe überpinselt. An einem anderen Haus war ein Loch im Blechdach mit kaputten Holzbrettern abgedeckt worden, die passend silberfarben gestrichen waren. Ein wenig weiter waren hölzerne Fensterläden mit Streifen aus Segeltuch ausgebessert worden und sowohl Holz als auch Segeltuch himmelblau gestrichen.
    Warum machte sich jemand die Mühe, Fensterläden – oder ein Haus oder sonst etwas – zu streichen, ohne sie vorher vernünftig zu reparieren?
    Es war bereits hell, als Bitterblue der Lienid-Wache am Torhaus ihren Ring zeigte und das Schloss betrat. Als sie mit heruntergezogener Kapuze ihren Ring erneut vorzeigte und den Wachen vor ihren Räumen das gestrige Schlüsselwort, »Ahornsirupkuchen«, zuflüsterte, öffneten sie ihr die großen Türen mit einer Verbeugung einen Spaltbreit.
    Im Vorraum machte sie eine Bestandsaufnahme. Die Tür zu Heldas Räumen am anderen Ende des Flurs links war zu. Rechts in ihrem Wohnzimmer hörte Bitterblue niemanden. Sie bog nach links ab und als sie ihr Schlafzimmer betrat, zog sie sich den Kapuzenumhang über den Kopf. Als ihre Augen aus dem Kleidungsstück auftauchten, zuckte sie zusammen und schrie beinahe auf, denn auf der Truhe an der Wand saß mit verschränkten Armen und glitzerndem Gold an seinen Ohren und Fingern Bo und musterte sie gelassen.

»Bo«, sagte Bitterblue, nachdem sie sich wieder gefangen hatte, »würde es dir sehr viel ausmachen, dich wie jeder normale Gast ankündigen zu lassen?«
    Bo hob eine Augenbraue. »Seit meiner Ankunft gestern Nacht wusste ich, dass du nicht dort warst, wo alle dich vermuteten. Daran hat sich bis eben nichts geändert. Wann genau hätte ich deiner Meinung nach einen Bediensteten wach rütteln und darum bitten sollen, angekündigt zu werden?«
    »Also gut, aber das gibt dir nicht das Recht, dich einfach in mein Schlafzimmer zu schleichen.«
    »Ich habe mich nicht reingeschlichen. Helda hat mich hereingeschickt. Ich habe ihr gesagt, du wolltest gern, dass ich dir das Frühstück ans Bett bringe.«
    »Wenn du unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hier reingekommen bist, heißt das, du hast dich reingeschlichen.« Dann sah sie aus den Augenwinkeln ein Frühstückstablett mit Stapeln aus schmutzigem Geschirr und benutztem Besteck. »Du hast alles aufgegessen«, sagte sie entrüstet.
    »Es macht hungrig, die ganze Nacht über wach dazusitzen und mir Sorgen um dich zu machen«, sagte er.
    Zwischen ihnen breitete sich ein langer Moment des Schweigens aus. Bis jetzt war alles, was Bitterblue gesagt hatte, vor allem ein Versuch gewesen, ihn abzulenken, während sie ihre Gefühle sammelte – sie sammelte und beiseiteschob, damit sie Bo mit leerem Bewusstsein entgegentreten konnte, ohne Gedanken, die er lesen könnte. Sie war ziemlich gut darin. Obwohl sie übernächtigt war und vor Müdigkeit schwankte, war sie gut darin, ihr Bewusstsein zu leeren.
    Er schien sie mit schräg gelegtem Kopf zu beobachten. Nur sechs Menschen auf der Welt wussten, dass Bo blind war; seine Gabe nicht im Nahkampf bestand, wie er behauptete, sondern dass es stattdessen eine Art Gedankenlesen war, die ihm erlaubte, Menschen und die körperliche Anwesenheit von Gegenständen zu spüren. In den acht Jahren seit dem Sturz, bei dem er das Augenlicht verloren hatte, hatte er seine Fähigkeit, so zu tun, als ob er sehen könne, perfektioniert und sich daran gewöhnt, es selbst vor den sechs zu tun, die wussten, dass er nicht sehen konnte. Diese Täuschung war notwendig. Die Leute hatten etwas gegen Gedankenleser, und Könige beuteten sie aus; Bo hatte sein ganzes Leben vorgegeben, keiner zu sein. Es war ein bisschen spät, jetzt damit aufzuhören.
    Bitterblue glaubte zu wissen, was Bo tat, während er da saß und seine silbern-goldenen Augen sanft in ihre Richtung schimmerten. Er hätte sehr gerne gewusst, wo sie die ganze

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