Die Königliche (German Edition)
hineinwerfen , dachte Bitterblue und knüpfte das Lederband auf. Sie räumte sich einen Fleck in der Sonne frei, setzte sich und begann zu lesen.
»Königin.«
Bitterblue fuhr zusammen. Sie war in eine Beschreibung der vier Feste versunken gewesen, bei denen Licht und Dunkel gefeiert wurde: die Tag-und-Nacht-Gleiche im Frühjahr und im Herbst und die Sonnwende im Winter und im Sommer. Bitterblue kannte das Fest zur Zeit der Wintersonnwende, mit dem die Rückkehr des Lichts gefeiert wurde, aber offenbar hatten vor Lecks Herrschaft zu allen vier Gelegenheiten Feiern stattgefunden. Die Menschen hatten bunte Kleider angezogen, sich die Gesichter angemalt und traditionellerweise alle geküsst. Bitterblues Fantasie war bei der Sache mit dem Küssen hängengeblieben. Es war alles andere als erfreulich, jetzt in Todds griesgrämiges Gesicht aufzublicken.
»Ja?«, fragte sie.
»Ich bedaure, dass ich Ihnen die heilkundlichen Schriften Ihrer Ratgeber doch nicht bringen kann, Königin«, sagte er.
»Warum nicht?«
»Sie sind weg«, antwortete er und betonte dabei jede Silbe.
»Weg! Was soll das heißen?«
»Das heißt, dass sie nicht dort stehen, wo sie hingehören, Königin, und jetzt muss ich meine wichtigere Aufgabe vernachlässigen, um sie wiederzufinden.«
»Hm«, sagte Bitterblue plötzlich misstrauisch. Vielleicht hatten diese Schriften nie existiert. Vielleicht hatte Todd ihre Liste der Rätselteile gelesen und sich die ganze Geschichte nur zum Spaß ausgedacht. Nachdem er behauptete, Wahrheiten, die Leck ausgelöscht hatte, originalgetreu wiederherzustellen, hoffte sie das allerdings nicht.
Als Todd sie das nächste Mal unterbrach, war Bitterblue weggedöst, die Wange auf Küssen in Monsea gebettet.
»Königin?«
Keuchend fuhr Bitterblue so abrupt auf, dass sie sich einen Muskel im Nacken zerrte. Au. Wo …
Sie hatte geträumt. Beim Aufwachen verblasste der Traum wie üblich und sie versuchte ihn festzuhalten: ihre Mutter, die stickte und las. Beides gleichzeitig? Nein. Ashen hatte gestickt, ihre Finger schnell wie der Blitz, während Bitterblue aus einem Buch, das Ashen ausgesucht hatte, vorgelesen hatte, einem Buch, das schwierig war, aber faszinierend an den Stellen, die Bitterblue verstand. Bis Leck sie dort zusammen vorgefunden hatte, nach dem Buch fragte, sich Bitterblues Erklärungen anhörte, dann lachte, Bitterblue auf die Wange, den Nacken und den Hals küsste, ihr das Buch wegnahm und es ins Feuer warf.
Ja. Jetzt erinnerte sie sich wieder an die Zerstörung des Buchs der Chiffren .
Bitterblue rieb sich den Hals. Sie massierte die verkrampften Muskeln in ihrem Nacken, leicht benommen vom Halbschlaf und vom Gefühl, noch nicht so ganz wieder auf der Erde angekommen zu sein. »Was ist denn jetzt wieder, Todd?«
»Verzeihen Sie mir, dass ich Ihr Nickerchen unterbrochen habe, Königin«, sagte er, den Blick zu Boden gerichtet.
»Reden Sie keinen Unsinn, Todd.«
Todd räusperte sich lautstark. »Königin«, sagte er, »möchten Sie das Wiederlesen der Bücher aus Ihrer Kindheit noch weiterverfolgen? Wenn ja, hätte ich hier eine Sammlung mit fantastischen Geschichten über Wunderheilungen.«
»Von meinem Vater?«
»Ja, Königin.«
Bitterblue richtete sich auf und kramte in den Manuskripten auf der Suche nach den beiden Büchern über Heilkunde, die Todd neu geschrieben hatte. Die neu geschriebenen Bücher waren keine fantastischen Erzählungen, sondern Sachbücher. »Das heißt, er vernichtete einige Heilkundebücher und hielt mich dann dazu an, andere zu lesen?«
»Wenn es in meinem Kopf existiert, Königin«, sagte Todd beleidigt, »ist es nicht vernichtet.«
»Natürlich.« Bitterblue seufzte. »Nun gut, ich werde Zeit finden, sie zu lesen. Wie spät ist es? Ich gehe besser zurück ins Schreibzimmer, bevor man mich suchen kommt.«
Aber als Bitterblue in den großen Schlosshof hinaustrat, sah sie Giddon mit den Händen auf den Knien am Rand des Beckens sitzen. Er plauderte mit einer Frau, die den Rumpf eines sich aufbäumenden Strauchpferdes mit einer großen Schere in Form brachte: Dyan, die oberste Gärtnerin. Ganz in der Nähe baumelte Fox von den höchsten Ästen eines Baumes und beschnitt den blühenden Efeu, so dass es dunkle welke Blütenblätter hagelte. »Fox«, sagte Bitterblue, als sie mit einem Stapel aus Büchern und Papier zu ihr hinüberging und den Kopf in den Nacken legte, »du arbeitest auch überall, was?«
»Überall, wo ich von Nutzen bin, Königin«, sagte Fox und
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