Die Königsmacherin
sich sonst mit Sicherheit anderen Frauen zuwenden und möglicherweise erneut eine Trennung anstreben. Ausgerechnet in dieser Situation Desiderata, die Frau, die er einst so sehr begehrt hatte, an den Hof kommen zu lassen, um sie mit seinem Sohn zu verheiraten, hieß das Schicksal herauszufordern.
»Ein großes Unheil?« wiederholte jetzt Bertrada verwundert. »Wovon sprecht Ihr, ehrwürdiger Vater?«
»Der Papst wird dem nicht zustimmen«, murmelte er.
»Er hatte doch auch nichts dagegen, daß sich Pippins Vetter Tassilo von Bayern mit Liutperga, einer anderen Tochter von Desiderius, vermählt hat, nicht wahr?«
»Er hatte durchaus etwas dagegen«, widersprach Abt Fulrad in scharfem Ton. »Nachdem Tassilo seiner Frau nämlich das Herzogtum in Meran und Bozen übertragen und somit die Verbindung Bayerns mit Norditalien gefestigt hat! Das gefiel dem Heiligen Vater ebensowenig wie Eurem Gemahl.«
»Immerhin hat Tassilo das Kloster Innichen bei Bozen gegründet«, warf Bertrada ein, »und die Gebeine des heiligen Corbinian nach Freising gebracht! An Ehrerbietung gegenüber Gott und dem Heiligen Vater mangelt es unserem bayerischen Vetter doch wahrlich nicht! Und für uns kann eine weitere verwandtschaftliche Verbindung zu diesem Alpenland nur fruchtbar sein, vor allem angesichts der Tatsache, daß Tassilo ziemlich eigenständig über das letzte merowingische Herzogtum herrscht.«
»Er hat Eurem Gemahl schon vor zehn Jahren einen Treueid geleistet«, unterbrach der Abt.
»Was ihn nicht daran gehindert hat, sich beim letzten Feldzug Pippins krank zu melden. Überhaupt drückt er sich um seine Verpflichtungen, wo er nur kann. Wenn die Bayern als Vasallen schon nichts taugen, sollte man sie sich wenigstens als Bündnispartner sichern.« Sie schüttelte den Kopf und setzte hinzu: »Diese Bayern sind schon ein höchst merkwürdiges Volk! Sie haben ein solch fruchtbares Land, großartige Weinberge, Eisenbergwerke, Bienenzüchtereien und noch vieles mehr. Doch die Bewohner, so sagt man, sind unfreundlich, abweisend und mürrisch. Dabei trinken sie viel mehr Bier als wir, und das sollte doch eigentlich fröhlich machen! Diese eigensinnigen Leute sollen gutem Rat auch grundsätzlich abhold sein! Da vertraue ich meine Kinder doch lieber den Langobarden an. Karl soll also Desiderata heiraten und Gisela ihren Bruder.«
»Der Heilige Vater …«
»… hat von uns auf der Grundlage der Konstantinischen Schenkung die Pippinische erhalten«, schnitt ihm Bertrada frostig das Wort ab und deutete vielsagend auf das erneuerte Skriptorium, an dem sie eben vorbeigekommen waren. »Damit sollte er sich begnügen.«
»Ich habe eine große Bitte an Euch«, setzte der Abt an.
Bertrada wappnete sich innerlich. »Verlangt nichts Unmögliches von mir, ehrwürdiger Vater!«
»Nur etwas Zeit. Könntet Ihr mich in einer Stunde in meinem Arbeitsraum in der Hofkapelle aufsuchen?«
Erleichtert atmete sie auf.
»Selbstverständlich!«
Als sie zu dem versprochenen Zeitpunkt den Raum betrat, war der Abt nicht anwesend. Auf seinem Pult beschien ein kleines Licht ein Pergament. Selbst von weitem konnte Bertrada den Namen des Adressaten erkennen. Es war der Papst. Neugierig trat sie näher und begann zu lesen.
Plötzlich zitterten ihre Knie so sehr, daß sie sich erst am Pult festhalten und dann auf den nächsten Stuhl setzen mußte. Der Brief, dessen Datum offensichtlich mit großer Sorgfalt entfernt worden war, flatterte zu Boden. Sie ließ ihn dort liegen, schob ihn mit einem verzweifelten Tritt sogar weit von sich. Aber zwei Sätze aus dem Schreiben ließen sich nicht aus ihrem Kopf verbannen:
»Glück und Leben meiner Person und meines Volkes hängen davon ab, daß du der Scheidung von meiner Gemahlin Bertrada zustimmst, geliebter Vater! Erfülle meinen Wunsch und lasse mich die ersehnte Desiderata heimführen, auf daß ich dem heiligen Kirchenstaat noch weitere Städte und Landstriche zu schenken vermag.«
Bertradas Kehle war staubtrocken. Der Magen drehte sich ihr um, und in ihrem Mund breitete sich ein übler Geschmack aus. Sie preßte die kalten Hände ans Herz, konnte jedoch die unsichtbare Klinge nicht herausziehen, die sich dort immer tiefer hineinzubohren schien. Im Winter vereiste man Wunden, um den Schmerz zu betäuben. Mein Herz soll zu einem Eisklumpen werden. Mühsam erhob sie sich. Ihre Knie zitterten nicht mehr, und das leise Rauschen in ihren Ohren hatte nachgelassen. Ein einziger Gedanke beherrschte nunmehr ihr ganzes
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