Die Königsmacherin
auf sie warf.
Er hatte den ganzen Tag damit zugebracht, Karl auf eine Reise vorzubereiten. Der fast Zwanzigjährige hatte von seinem Vater Grafschaften um das Gebiet in Le Mans erhalten, am Rande der Einflußzone Pippins. Er sollte sich die dortigen Adligen vornehmen, die früher bereits Grifo unterstützt hatten und dem Königshaus alles andere als freundlich gesinnt waren, Karls Gedanke, den Rädelsführern gleich zur Begrüßung mit einer Abschrift der Lex Salica die Furcht vor dem Herrn einzubleuen, fand er sehr überzeugend. Pippin setzte große Hoffnungen in seinen ältesten Sohn, der ihn selbst inzwischen um eine halbe und seine Mutter sogar um eine ganze Kopflänge überragte. Bei Hofe und im Rat des Königs hatte er sich bereits durch seine Entschlußfreudigkeit einiges Ansehen erworben.
Mit Karlmann verhielt es sich leider völlig anders. Mehr als einmal war es seinetwegen zwischen dem König und dem Erzkaplan zu heftigen Auseinandersetzungen gekommen. Abt Fulrad lobte die Fähigkeit des jungen Mannes, sich einer Sache gründlich anzunehmen und beispielsweise alle Aspekte eines Streites gründlich zu erwägen, ehe er eine Meinung von sich gab. »Er zögert zu lange. Ein Streit muß so schnell wie möglich geschlichtet werden, notfalls mit Gewalt«, widersprach Pippin. Sonst könne einem Herrscher zu leicht Wankelmut vorgehalten werden, und dies sei seiner Position höchst abträglich. Die Gelehrten mochten sich vielleicht in aller Ruhe die Köpfe über mancherlei Hypothesen zerbrechen, ein künftiger König hingegen müsse in der Lage sein, blitzschnell zu handeln. Und dazu sei der zaudernde Siebzehnjährige nicht in der Lage. Der Abt erinnerte Pippin daran, daß Karlmann in frühen Jahren mit seinem blitzschnellen Handeln beim Ringkampf immer der Unterlegene gewesen sei. »Dies hat ihn gelehrt, daß es sehr viel vorteilhafter ist, eine Streitfrage zunächst umsichtig einzukreisen«, behauptete der Abt, dem die Parteinahme des Vaters für den ältesten Sohn sehr mißfiel.
Wie immer vermittelte Bertrada. Sie hatte Pippin darauf hingewiesen, daß es dem Land nur zum Vorteil gereichen könnte, wenn die beiden späteren Könige ihre unterschiedlichen Stärken bündelten. Der geborene Krieger Karl und der nachdenkliche Stratege Karlmann könnten gemeinsam das Reich zu voller Blüte entfalten lassen. Pippin gestand sich ein, daß ihm Karls Einstellung näher lag. Für einen Mönch, der die Muße hatte, sich mit der Lösung einer einzigen Frage zu beschäftigen, mochte das Verhalten Karlmanns angemessen sein, einen Herrscher jedoch zeichnete nun einmal vor allem die Fähigkeit aus, in kurzer Zeit die richtigen Entscheidungen zu treffen und sie umzusetzen. Vielleicht war es damals ein Fehler gewesen, Bertrada auf seine Feldzüge mitzunehmen. Sie war Zeugin vieler Greuel geworden, die er einer Frau nicht hätte zumuten dürfen. Und doch, hatte sie vielleicht deshalb immer stärker auf diplomatische Verhandlungen gesetzt, eine Einstellung, die sein jüngster Sohn teilte und die der Grund dafür war, daß die Königin den König so gut ergänzte?
Ganz unvermittelt fiel ihm zum ersten Mal seit Jahren wieder die Besessenheit ein, die das Mädchen Desiderata einst in ihm geweckt hatte. Im nachhinein war er sehr froh, daß ihm die beiden Päpste damals die Scheidung verweigert hatten. Er fragte sich, was in ihn gefahren war, daß er sich einem durchaus liebenswürdigen, aber eigentlich doch eher langweiligen Geschöpf zugewendet hatte. Und das in einer Zeit, da er die Heiligkeit der Ehe beschworen und sich überhaupt redlich bemüht hatte, seinem Volk christliche Grundsätze zu vermitteln! Er wäre zum Gespött der Leute geworden, und seine Feinde hätten die Gelegenheit genutzt, seine Unglaubwürdigkeit gegen ihn ins Feld zu führen. Ganz davon abgesehen, hätte ihm die Tochter des Langobardenfürsten niemals eine solch großartige Stütze sein können wie Bertrada. Es wäre damals sicher sinnvoller gewesen, sich nach jenen Tagen der Mühsal in den Armen irgendeiner willigen, aber belanglosen Schönen zu sättigen, als die Ehe mit seiner Frau aufs Spiel zu setzen! Zum Glück war es Bertrada entgangen, daß er überhaupt eine Trennung erwogen hatte.
Der Gedanke an seine Frau und eine plötzliche Sehnsucht nach ihrer Umarmung bewogen ihn, noch vor Mitternacht die Gespräche mit seinem Sohn abzubrechen und zum ehelichen Gemach zu eilen. Bertrada hatte sich bereits zur Ruhe begeben. Er erkannte an ihrem Atmen, daß sie
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