Die Königsmacherin
Kopf.
»Nicht in diesem Zusammenhang, denn dann hätte ich ihm zum Trost mitgeteilt, daß er mit der Einführung der Zehntabgabe auf dem besten Weg war, diese Sünden zu büßen. Aber welchen Grund sollte der König sonst für diese seltsame Entscheidung gehabt haben?«
»Vielleicht hat er auch nur zeitlebens falschen Ratgebern sein Vertrauen geschenkt und sich dafür geschämt?« versetzte sie hart und fügte übergangslos eine weitere Frage an: »Sagt an, Pater Fulrad, welches Datum stand eigentlich ursprünglich auf dem Pergament, das Ihr im vergangenen Jahr so auffällig auf Euer Pult gelegt hattet?«
Ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, fragte der Abt kühl zurück: »Ist das nicht völlig belanglos, wenn man bedenkt, daß Ihr ohne den Heiligen Vater heute nicht mehr Königin wärt? Und Eure Söhne sich das Reich mit vielen Brüdern teilen müßten?«
Bertrada wandte das Gesicht ab und schwieg. Sie versteckte ihre zu Fäusten geballten Hände in den Falten ihres Gewandes. Der Pater bat nicht um Erlaubnis, gehen zu dürfen. Er verneigte sich kurz und verließ lautlos das Gemach.
Nicht einmal drei Wochen später sah sich Bertrada doch noch vor die Entscheidung gestellt, zwischen ihren beiden Söhnen wählen zu müssen. Beide sollten zwar am selben Tag, allerdings jeder in einer Stadt seines eigenen Reichsteils, von Bischöfen zu Königen gesalbt werden. Da sie es vermeiden wollte, Pater Fulrad in der Kirche zu begegnen, zog sie es vor, nicht zugegen zu sein, wenn Karlmann gekrönt wurde. Also ritt sie erst nach Soissons zu ihrem ältesten Sohn. Der gesamte Hof sah es außerdem als selbstverständlich an, daß sie sich für die alte merowingische Residenzstadt entschied. Was war schon Noyon? Ein winziges Bistum, das die Stelle des alten Bischofssitzes von St. Quentin übernommen hatte und in dem es außer einer dem heiligen Medardus geweihten Kapelle nichts Bemerkenswertes gab.
Da die Städte nicht weit voneinander entfernt lagen, konnte die Königin nach Karls förmlicher Krönung in Soissons rechtzeitig zu den Feierlichkeiten anläßlich der Thronbesteigung Karlmanns in Noyon eintreffen. Auch dies hatte sie wohl erwogen. Es widerstrebte ihr, so kurz nach Pippins Tod an dem ausgelassenen Fest Karls teilzunehmen. Sie zog die eher ernste und schlichte Feier vor, um die Karlmann gebeten hatte, und wußte, daß Abt Fulrad nicht anwesend sein würde. Sie fand es nicht weiter befremdlich, daß der Sohn, der seinem Vater stets nähergestanden hatte als sein Bruder, anläßlich der Erhebung zum König das weitaus prächtigere Fest feierte. Karls Neigung zur Übertreibung und zu prunkvollen Gelagen war ihr wohlbekannt, und da sie wußte, wie sehr er unter dem Tod des Vaters litt, gönnte sie ihm die Zerstreuung. Karlmann hingegen verabscheute Überfluß, Gepränge und Prachtentfaltung genauso wie das Schlachtgetümmel und die wilde Hatz auf Auerochsen. Als König wird er wohl am liebsten in seiner Schreibstube sitzen, alte Schriften studieren und sich über neue Erlasse und Rechtsverordnungen den Kopfzerbrechen, dachte sie.
Doch die unterschiedlichen Eigenschaften der Brüder würden schon wenige Monate später zum Zerwürfnis führen und dafür sorgen, daß nicht die beiden Könige, sondern ihre Mutter über die Geschicke des Frankenlandes bestimmen sollte.
Der Streit entzündete sich an Aquitanien.
Waifars Sohn Hunoald, benannt nach seinem berühmt-berüchtigten Großvater, Pippins langjährigem Widersacher, widersetzte sich der fränkischen Vorherrschaft und stachelte den aquitanischen Adel abermals zu einem Aufstand an. Bertrada forderte ihre beiden Söhne auf, mit dem Aufrührer zu verhandeln und ihm notfalls ein paar Sonderrechte einzuräumen, damit er Ruhe gäbe.
»Es hat keinen Sinn, dieses gebeutelte Land noch einmal anzugreifen«, sagte sie zu Karl in Soissons. Er hob die Augenbrauen, küßte seine Mutter auf die Stirn und fuhr sich durch den dicht gewordenen Bart.
»Ich kenne die Sprache, die die Aquitanier verstehen, Mutter«, erklärte er. »Und in ihr gibt es das Wort Nachgiebigkeit nicht. Ihnen ein paar Sonderrechte einzuräumen hieße, Aquitanien ganz aufzugeben.«
Voll Sorge ritt Bertrada nach Noyon und hatte dort eine ernste Unterredung mit Karlmann.
»Dein Bruder will kämpfen«, sagte sie. »Doch ich bin überzeugt, daß mit Worten mehr zu gewinnen ist. Versprich mir, daß du nicht zu Felde ziehen wirst, sondern so lange mit Herzog Hunoald verhandelst, bis ihr zu einer Einigung gekommen
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