Die Königsmacherin
eine Matratze im Speisesaal oder auf dem zugigen Gang streiten mußte. Ihre Kammer teilte sie nur mit der Hausmeisterin und der Kammerfrau der Herrin.
»Ein ganzes Bett für mich allein!« hatte sie staunend ausgerufen.
»Wenigstens solange wir keinen weiblichen Gast zu beherbergen haben«, erklärte ihr Frau Berta.
Karlmann blieb nur eine Nacht. Wenn er sich eilte, teilte er den beiden Frauen mit, würde er den Zug des Bischofs noch einholen können. Auch er müsse nach Saint Denis, um sich mit seinem Bruder zu beraten. In dem Blick, den er Bertrada beim Abschied schenkte, lag das Versprechen eines baldigen Wiedersehens.
Viel Zeit, an den markanten Mann mit der sanften Stimme zu denken, blieb der jungen Frau in den kommenden Wochen allerdings nicht. Vom Morgengrauen bis spät in die Nacht war ihr Tag mit Aufgaben ausgefüllt, und bald fragte sie sich, wie Frau Berta früher ohne sie zurechtgekommen war. Recht mühelos, hätte diese ihr auf die Frage geantwortet, damals hatte sie bestimmte Dinge einfach liegenlassen. Vieles erledigte sich im Laufe der Zeit von selbst oder erwies sich als nicht so vorrangig. Sie wußte es zu schätzen, daß Bertrada die Aufsicht über den Kräutergarten übernommen hatte, wunderte sich aber über die seltsamen Kenntnisse der jungen Frau, die über die Heilkraft so vieler wilder Pflanzen Bescheid wußte, der jedoch die einfachsten Küchenkräuter unbekannt zu sein schienen. Ihre wirkliche Begabung lag allerdings im Umgang mit den Menschen. Weil sie sogar im Trubel des Genitiums nie die Übersicht verlor, übertrug ihr Frau Berta schon nach wenigen Wochen die Leitung. Bertrada nahm Flachs, Wolle und Hanf von den Hufebauern der Umgebung in Empfang und verteilte die Arbeit an die fünfundzwanzig Frauen, die dort Wolle zupften, Flachs schlugen, sponnen, webten, nähten und in der Färberei beschäftigt waren. Wenn schlechter Waid, die Farbpflanze für Blau, oder minderwertiger Krapp, die Wurzel der Färberröte, angeliefert wurden, erkannte sie das sofort, und sie sah auch, wenn Wollkämme ausgedient hatten und Kardendisteln die Wolle nicht mehr genügend auftauten. Flora verfügte außerdem über eine weitere Fähigkeit, die Frau Berta noch größere Bewunderung abnötigte: Sie hatte sich im Längshaus nicht nur Achtung verschafft, sondern sogar Zuneigung erworben. Es gelang ihr, die vielen Frauen unterschiedlichster Herkunft, die dort auf engem Raum zusammenarbeiteten, zu einer richtigen Gemeinschaft zu vereinigen.
»Ich spreche mit ihnen«, sagte Bertrada einfach, als die Herrin sie fragte, wie sie es bewirkte, die Frauen ohne scharfe laute Worte anzutreiben und für Frieden in den Arbeitsräumen zu sorgen. Seitdem sie die Aufsicht übernommen hatte, war es zu keinen Ausschreitungen mehr gekommen, in deren Verlauf sich die Frauen früher gegenseitig immer wieder mit Nadeln, Messern oder anderen Werkzeugen verletzt hatten.
»Mit ihnen reden«, wiederholte Frau Berta verwundert. »Das tue ich doch auch!«
Bertrada hätte ihr sagen können, daß sie mit den Frauen nicht nur über die Farbe des Tuches, die Anordnung der Muster oder die Fasern des Hanfs sprach. Bei den wenigen Arbeiterinnen, die Familie hatten, erkundigte sie sich nach Namen und Gesundheit der Kinder; von denen, die im Genitium wohnten, ließ sie sich die Lebensgeschichte erzählen, deren eine erschütternder war als die nächste. Und den unverheirateten Mädchen machte sie Hoffnungen auf einen Bräutigam. Es wäre ihr auf dem heimatlichen Grafengut nie eingefallen, über das Leben der Dienstboten nachzudenken, geschweige denn, mit ihnen darüber zu reden, aber die Zeit im Wald und auf der Wanderschaft hatte sie verändert. Ohne die Muhme wäre sie nicht mehr am Leben, ohne Teles wüßte sie nicht, daß auch Sklaven Menschen waren. Sie dachte oft an Teles und fragte sich, ob er wohlbehalten in seiner Heimat angekommen war. In der Burgkapelle entzündete sie regelmäßig eine Kerze für ihn und betete für seine Heimkehr und seine Seele. Der Kaiser von Byzanz war ein Christ, und Bertrada zweifelte nicht daran, daß er allmählich das gesamte Land zum einzigen wahren Gott bekehren würde. Teles war ein kluger Mann. Und als freier Mann würde er sicher einsehen, daß Zeus, Hades und Pan nur der Verblendung entsprungen waren.
Aus einer Laune heraus schlug sie eines Tages der am Spinnrocken sitzenden Gislind vor, doch einmal einen anderen Heimweg einzuschlagen, da ihr künftiger Mann dort am Wegesrand auf sie warten
Weitere Kostenlose Bücher