Die Königsmacherin
und Abel und hätten einander beinahe umgebracht. Aber der Streit ist schon seit langem beigelegt. Heute verfolgen wir das gleiche Ziel. Wir wollen mit Gottes Hilfe das Frankenreich vereinigen und vergrößern.«
»Und deshalb habt Ihr Euren Bruder Grifo gefangengesetzt?« fragte sie scharf und dachte, wie gefährlich es doch war, mit dieser Familie verwandt zu sein. Karlmann blickte steif geradeaus und schwieg so lange, daß Bertrada schon fürchtete, ihn verärgert zu haben.
Ich muß mir abgewöhnen, mich so unbedacht zu äußern, tadelte sie sich selbst. Ich kenne Karlmann kaum, doch er war von Beginn an gut zu mir. Er will mir wohl, das spüre ich.
»Verzeiht«, sagte sie leise. »Ihr habt sicher das getan, was für das Land richtig ist.«
Karlmann unterdrückte den Wunsch, hinüberzugreifen und ihr über das den Rücken herabfallende offene Haar zu streichen.
»Wohl war mir dabei nicht«, bekannte er schließlich. »Aber uns blieb keine Wahl. Eine solche Aufsplitterung der Länder … und drei Hausmeier … das ging nicht. Außerdem ist Grifo zu jung, um zu regieren, und wir konnten nicht zulassen, daß seine bayerische Verwandtschaft ihre eigenen Ziele durchsetzt.« Er seufzte. »Es ist schon schwer genug für Pippin und mich, die Völker davon zu überzeugen, daß wir zu Recht die Macht in Händen halten. Wir sind darauf vorbereitet und dazu erzogen worden. Aber unser Vater war schließlich kein König.«
»Dann laßt Euch doch zu Königen krönen!« versetzte Bertrada übermütig.
Er sah sie verblüfft an.
»Wie könnt Ihr so etwas sagen! Mit welchem Recht könnten wir uns denn krönen lassen? Und von wem?«
Weil ihr wie Könige herrscht und euch wie solche verhaltet, dachte Bertrada. Eine Erinnerung flog durch ihren Kopf. ›Ehefrau und Mutter von Königen‹. Karlmann war eine eindrucksvolle Erscheinung, und er verfügte über unermeßlich viel Macht. Und doch hatte er sich angeboten, den kleinen Zug Frau Bertas durch das Waldgebiet hinunter nach Mürlenbach zu begleiten, eine Tagesreise hin, eine zweite zurück. Bertrada ahnte, daß ihm die Besichtigung der alten Burg nur als Vorwand diente. Ihren in den vergangenen Wochen geschärften Sinnen entging nicht mehr viel. Auch nicht, daß Karlmann sie mit großem Wohlgefallen gemustert hatte. Vielleicht erwog er, sie zur Frau zu nehmen? Wer sollte ihn daran hindern, sich selbst zum König zu ernennen? Bertrada gab sich dem eitlen Traum hin, daß die Weissagung der Hexe Wahrheit werden könnte. Doch dann fielen ihr Karlmanns Bruder Pippin und dessen Gemahlin ein, und sie begriff, daß die Prophezeiung nur in einem weit entfernten Land Wirklichkeit werden könnte, wo niemand etwas von den Franken wußte. Also nirgendwo. Und niemals.
Bertrada hatte noch nie etwas so Düsteres und Überwältigendes gesehen wie Frau Bertas Burg. Ihr Elternhaus bestand zwar auch zum Teil aus Stein, aber da es nur zweistöckig war und größere Maueröffnungen aufwies, die in der kalten Jahreszeit mit Holz oder Öltuch verschlossen wurden, wirkte es auf den Betrachter eher anheimelnd. Frau Bertas Quartier dagegen war eine Festung. Als sie durch das Burgtor in den großen Innenhof mit dem Bergfried, dem hohen viereckigen Holzturm in der Mitte, einritten, kam es Bertrada fast so vor, als hätte sie verbotenes Land betreten. Sie legte den Kopf in den Nacken und starrte nach oben. Wie war es möglich, daß Menschenhand ein steinernes Bauwerk errichtete, das fast bis in den Himmel reichte und die Sonne aus dem Hof verbannte? Wer hatte die riesigen Felsquader den Hügel hinaufgewuchtet? Als Maueröffnungen dienten lange Spalten, durch die gerade mal eine Hand paßte, und winzig kleine Vierecke. Aber als es im Laufe der nächsten Wochen empfindlich kühl wurde, machte Bertrada die Erfahrung, daß sich der Wind mit Vorliebe dieser schmalen Zugänge bediente, um durch die großen hohen Hallen und die beiden Türme mit den gewundenen Steintreppen zu blasen. Im Winter würde er die Knochen der Bewohner erzittern und das Wasser in den Schüsseln gefrieren lassen. Fast die Hälfte des Felsennestes war zu sehr verfallen, um von Menschen bewohnt zu werden, also wurde dort das Vieh untergebracht. Einer ehemaligen Halle fehlte das Dach, aber da die Mauern Windschutz boten, hatte Frau Berta eine kleine Holzhütte darin errichten lassen. In dieser befand sich auch die Kammer, die sie Bertrada zum Schlafen anwies. Die junge Frau war beglückt, daß sie sich nicht mit dem übrigen Gesinde um
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