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Die Königsmacherin

Die Königsmacherin

Titel: Die Königsmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Klostergebäude und den Garten genommen worden wäre.
    Plötzlich richtete sie sich auf.
    »Flora«, rief sie laut ins Haus, »komm doch mal her!«
    Bertrada eilte herbei und erstarrte, als ihr Blick Frau Bertas ausgestreckter Hand folgte, die auf die Klosteranlage wies. Eine große Gruppe von Menschen hatte gerade das Versammlungsgebäude verlassen. Sie wurde vom Abt angeführt. Selbst auf die Entfernung hin erkannte Bertrada sofort den Mann mit dem dichten weißen Haarschopf, der neben Vater Gregorius schritt. Es war ihr Vater.
    »Das müssen unsere Gäste sein!« rief Frau Berta aufgeregt. »Wahrscheinlich hat mein Sohn beschlossen, erst zum Beten nach Prüm zu reiten. Das ist aber sehr ärgerlich, ich habe mich noch gar nicht davon überzeugt, ob dort alles seine Ordnung hat.«
    Sie lehnte sich weiter über die Brüstung und setzte erstaunt hinzu: »So viele Menschen! Das kann nicht nur Chariberts Gefolge sein. Natürlich! Er muß unterwegs die Gesellschaft des Hausmeiers getroffen und sich ihr angeschlossen haben. Na schön, dann sind sie eben jetzt alle hier. Flora?«
    Bertrada hatte den einzigen Ausweg gewählt, der ihr einfiel. Sie war zu Boden gesunken und spielte die Ohnmächtige.
    »Das hat mir gerade noch gefehlt!« rief Frau Berta entsetzt und rief um Hilfe ins Haus.
    Aber ganz gleich, welches Duftwasser man ihr an die Nase hielt, Flora wachte nicht auf. Am meisten beunruhigte Frau Berta, daß die Ohnmächtige heftiges Herzklopfen hatte.
    Bertrada lag auf einem Strohsack in einem der Lagerräume hinter Tuchrollen und Getreidesäcken und dachte nach. In dem großen Betrieb, der die Ankunft der Gäste begleitet hatte, würde es kaum auffallen, wenn sie sich einfach davonstahl. Ihr Verstand riet ihr dringend zu dieser Lösung, doch ihr Herz sagte etwas anderes. Sie wollte so gern noch einmal in ihrem Leben ihre Eltern sehen!
    Wenn sie ein Tuch tief ins Gesicht zog, könnte sie sich in die Versammlungshalle schleichen, wo das Abendessen aufgetragen werden sollte. Unter den vielen neugierigen Menschen, die den Hausmeier sehen wollten, und unter all dem Gefolge würde sie nicht auffallen. Sie könnte sich für eine alte Frau ausgeben, die in der Kapelle hatte beten wollen, überlegte sie. Ihren Rücken würde sie sowieso krümmen müssen, da sie sonst schon wegen ihrer Größe aufgefallen wäre.
    »Ich bin verrückt«, murmelte Bertrada, als sie ein großes Stück dunkles Tuch von einer Rolle abschnitt. Sie entledigte sich ihrer Kleidung und legte sie so auf den Strohsack, daß es aussah, als läge sie noch dort. Dann schnitt sie ein Loch in die Mitte des Tuches, zog es sich über den Kopf und wickelte sich ein Band um ihre Mitte. Vom gleichen Stoff nahm sie noch ein paar Ellen, die ihr als Kopfbedeckung dienten. Sie blickte auf ihre Füße und begriff, daß sie, derart gekleidet, wie alle Hörigen barfuß gehen mußte. Der Stoff war lang genug, um die unterschiedlich großen Füße zu verbergen, und außerdem würde bestimmt niemand einer armseligen alten Frau unter den Rock blicken. Sie schaute vorsichtig zur Hintertür hinaus, überzeugte sich, daß niemand auf sie achtgab, und ging den Berg hinunter zur Klosteranlage.
    Sie hatte recht gehabt. Die ganze Siedlung Prüm war auf den Beinen, um den hohen Besuch zu bestaunen. Die Männer, denen die Aufgabe zugeteilt worden war, das Volk vom erhöhten Tisch am Ende der Versammlungshalle fernzuhalten, hatten alle Hände voll zu tun. Die Menge, die sich vor allem über die Speisen auf der langen Tafel ausließ, schob sich immer weiter nach vorn, an den Tischen und Bänken der Gefolgsleute vorbei. Doch auch wenn sich der Abstand zwischen den Zuschauern und den Speisenden auf dem Podest ständig verringerte, blieb er doch viel zu groß, als daß man hören konnte, was die hohen Herrschaften sagten.
    Bertrada hatte sich weit vorgedrängt und konnte ihre Eltern an der Mitte der langen Tafel gut erkennen. Es versetzte ihr einen Stich, als sie die Trauer in ihren Mienen las, die selbst durch höfliches Lächeln nicht gemildert wurde. Frau Berta saß an der schmalen Tischseite und wirkte mit ihrer hohen Haube so königlich, als thronte sie über der Versammlung. Der Mann zwischen ihrem Vater und dem Abt hatte den Kopf über sein Brot gebeugt. Das mußte der Hausmeier Pippin sein, der Mann, dem sie einst versprochen worden war. Er hatte hellere Haare als sein Bruder, stellte Bertrada fest und hoffte, daß er bald den Kopf heben würde.
    Nein, nein, das ist nicht möglich!,

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