Die Königsmacherin
können.«
»Und weshalb besucht Eure Enkelin mit ihrem Gemahl nicht die Eltern in Laon?« fragte Bertrada mühsam.
»Ja, darüber scheint mein Sohn auch etwas beunruhigt zu sein«, erwiderte Frau Berta. »Herr Karlmann berichtete mir von einem Brief Bertradas an meinen Sohn. Sie hat es nicht einmal für nötig befunden, ihn mit eigener Hand abzufassen, sondern einen Schreiber damit beauftragt!«
»Was stand denn in dem Brief?« fragte Bertrada flüsternd.
»Sie könne ihr Elternhaus aus bestimmten religiösen Gründen leider niemals mehr aufsuchen. Das erscheint mir grober Unsinn.« Frau Berta ließ ein kurzes, bitteres Lachen hören. »Ich vermute, mein Sohn hat sich über die Beziehung zu seiner Tochter etwas vorgemacht. Das Mädchen scheint nachgerade beglückt darüber, seinem Elternhaus entkommen zu sein.«
In Bertradas Kehle formte sich ein derart großer Kloß, daß sie keinen Ton mehr herausbrachte. Aber Frau Berta hatte schon weitergesprochen: »Es ist zu wünschen, daß es hier zu einer Versöhnung kommen wird. Sobald wir Nachricht haben, werden wir alle Vorbereitungen treffen, auf daß unsere Gäste herzlich empfangen werden.«
Bertrada gab sich große Mühe, beim Antwortschreiben die Buchstaben klar und deutlich hinzumalen, damit ihren Eltern die Schrift nicht bekannt vorkam.
Weder in dieser Nacht noch in der darauffolgenden fand sie Schlaf. Sie dachte nicht ein einziges Mal daran, daß die Last der Vorbereitungen, von denen Frau Berta gesprochen hatte, zum großen Teil auf ihren Schultern liegen würde, denn sie war davon überzeugt, daß es nie zu einem Treffen in Prüm oder Mürlenbach kommen würde. Leutberga konnte schließlich nicht zulassen, daß ihr Geheimnis aufgedeckt wurde. Bertrada litt unter dem Gedanken, die Eltern im Glauben lassen zu müssen, die Tochter habe sich von ihnen losgesagt. Natürlich würde ihr Vater das nicht begreifen können! Wie würde ich an Leutbergas Stelle handeln? überlegte sie. Wahrscheinlich die Reise im letzten Augenblick absagen, zu einem Zeitpunkt, da meine Eltern bereits nach Prüm aufgebrochen sind. Als Leutberga würde ich eine plötzliche Krankheit vorschützen. Als Flora werde ich dies auch tun müssen. Die Gäste dürfen mich natürlich nicht zu Gesicht bekommen. Ach, wie gern würde ich meine Eltern noch einmal umarmen!
Sie weinte leise in ihre Kissen, als sie sich vorstellte, mit Vater und Mutter unter einem Dach zu wohnen und diese nicht einmal sehen zu dürfen.
Zunächst schien es, als sollte sich ihre erste Vermutung bestätigen und der Besuch überhaupt nicht stattfinden. Das Jahr verstrich, ohne daß eine Begegnung zwischen dem neustrischen Hausmeier, seiner Gemahlin und deren Eltern noch einmal erwähnt wurde. Aber Anfang des folgenden Jahres brachte Karlmann bei einem seiner seltenen Besuche eine Nachricht seines Bruders mit.
»Wie!« rief Frau Berta entgeistert. »Sie kommen schon nächste Woche! Das schaffen wir nie! Los, Flora, an die Arbeit!«
Bertrada brauchte nicht erst zu fragen, wer mit ›sie‹ gemeint war. Wie angewurzelt blieb sie an dem Pult stehen, wo sie gerade begonnen hatte, ein lateinisches Gedicht ins Griechische zu übersetzen.
»Nun geh schon, Flora!« rief Frau Berta ungehalten. »Herr Karlmann wird gewiß später noch Zeit finden, mit dir zu plaudern.«
Bertrada warf Karlmann einen Blick zu, den er nicht klar deuten konnte. Einen Augenblick lang richtete sich wieder das kleine Pflänzchen Hoffnung in seinem Herzen auf. Es schien, als habe ihn die junge Frau voller Zuneigung angesehen.
Darin irrte er sich nicht.
Bertrada mochte Karlmann viel zu gern, als daß sie dessen baldige Abreise gewünscht hätte. Aber diesmal hoffte sie, er möge so schnell wie möglich vom Hof reiten, da sie das Gefühl nicht los wurde, daß sich ihre Zeit als Flora dem Ende zuneigte. Sie wollte nicht, daß Karlmann jemals erfuhr, wer sie wirklich war, nämlich die Frau, die eigentlich mit seinem Bruder verheiratet sein sollte. Sie durfte gar nicht erst anfangen, sich auszumalen, was geschehen würde, wenn die Wahrheit ans Licht kam.
Sie hatte schon überlegt, auf welche Weise sie sich krank stellen könnte. Am zweckdienlichsten erschien ihr eine Pflanze, die einen scheußlichen Ausschlag hervorrufen würde, die aber natürlich auch nicht zu giftig sein sollte. Wenn sie dann noch darauf hinwies, daß diese Pusteln hochansteckend seien, würde sich niemand in ihre Nähe trauen. In einem der dunklen Turmzimmer des Felsennestes könnte
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