Die Königsmacherin
dachte sie voller Entsetzen, als sie endlich sein Gesicht erblickte. Er kann es nicht sein, ich täusche mich bestimmt! Aber die Konturen des Gesichts, das sie drei Jahre zuvor nur für ein paar Augenblicke gesehen hatte, waren fest in ihr Gedächtnis eingemeißelt. Jetzt lachte der Mann. Genau wie damals. Er ist es, er ist es, und er kann es doch nicht sein!
Bertrada vergaß ihre Verkleidung, dachte keinen Augenblick mehr daran, daß Flora von Ungarn jetzt ohnmächtig auf einem Strohsack liegen sollte, sondern war nur noch von dem Gedanken getrieben, dem Mann, der sie entehrt hatte, dem Erzeuger ihres gestorbenen Kindes, ins Gesicht zu spucken. Erregt schlug sie nach einem Bewacher, der sie zurückdrängen wollte, aber er war stärker als sie und drückte sie in die Menge hinein.
»Rühr mich nicht an!« donnerte sie, riß sich mit einem Ruck das Tuch vom Kopf und funkelte ihn mit Augen an, aus denen Feuer zu sprühen schien. Der Mann wich erschrocken zurück. Durch die Menge hinter ihr ging ein Raunen. Plötzlich war es totenstill im Versammlungssaal. Auch die Gäste an der Ehrentafel merkten, daß etwas Ungewöhnliches vorgefallen war, und schauten über die Köpfe der Gefolgsleute hinweg zum Publikum hinüber.
Von niemandem gehindert, schritt Bertrada ganz nah an die Tafel heran und starrte Pippin in die Augen. Der blickte die Fremde überrascht, aber leicht belustigt an. Hübsche Frauen hatte er immer gern um sich. Und diese war hübsch. Irgendwie erinnerte sie ihn an … meine Frau, dachte er mit einemmal sehr verblüfft.
»Hast du ein Anliegen an mich?« fragte er. Er schien zwar etwas überrascht zu sein, in ihr aber nicht die Frau vom Bach wiederzuerkennen. Aber er war es, das wußte Bertrada jetzt mit Gewißheit.
»Flora!« rief Frau Berta entrüstet.
In diesem Augenblick sprang der Graf von Laon auf. Frau Gisela stieß einen Schrei aus und faßte sich ans Herz. Vater Gregorius, der schon so viel in seinem Leben gesehen und gehört hatte, und den nichts mehr überraschen konnte, behielt als einziger die Ruhe. Er tat, was er eigentlich schon zu Beginn des Gelages hatte tun wollen, aber auf Pippins ausdrücklichen Wunsch unterlassen hatte. Mit lauter Stimme forderte er die Zuschauer auf, das Gebäude augenblicklich zu verlassen, und verlieh seinen Worten Nachdruck, indem er selbst vom Podest stieg. In wenigen Augenblicken schloß sich die schwere Tür hinter dem letzten Neugierigen.
Der Graf hatte sein Alter vollkommen vergessen und war mit einem Satz vom Podest gesprungen.
»Kind!« rief er. »Daß du doch noch gekommen bist!« Bertrada stürzten die Tränen aus den Augen, als sie sich an die Brust ihres Vaters warf. »Aber wie siehst du denn aus!« rief dieser verwundert und musterte sie kopfschüttelnd, bis dann auch Frau Gisela in die Umarmung einbezogen wurde.
»Ich muß doch sehr bitten«, unterbrach eine leicht belustigt klingende Stimme das Wiedersehen. »Darf ich fragen, wer diese Frau ist?«
Erstaunt ließ das Grafenpaar die Tochter los und musterte Pippin, als wäre er nicht bei Verstand.
Bertrada richtete sich zu ihrer vollen Größe auf.
»Ich heiße Bertrada von Laon«, verkündete sie laut und deutlich und warf Frau Berta einen kurzen Blick zu. Deren weitgeöffneter Mund ließ sie jetzt gar nicht mehr majestätisch und würdevoll erscheinen. Sie sollte später immer wieder sagen, was für ein Glück es doch war, daß keiner ihrer Leute Zeuge ihres dummen Gesichtes geworden sei. Dabei vergaß sie natürlich die Bediensteten, aber die hatten ohnehin nur Augen für Bertrada.
Diese hatte sich jetzt an den Hausmeier gewandt. »Ihr habt nicht mich geheiratet, Herr, sondern die Tochter meiner Amme. Sie hat sich für mich ausgegeben. Ich wurde im Wald ausgesetzt.«
Das Lächeln schwand aus Pippins Gesicht.
»Was soll das bedeuten?« herrschte er den Grafen an. Der hob nur völlig verständnislos die Hände. »Ich habe meine Tochter an Eurer Seite geglaubt«, entgegnete er voller Verwirrung und sah bestürzt zu Bertrada hinüber.
»Leutberga«, murmelte Frau Gisela grimmig.
Der Abt war inzwischen zurückgekehrt.
»Setzt Euch und erzählt uns alles«, sagte er mit ungewohnter Höflichkeit und deutete auf das andere schmale Ende des Tisches, Frau Berta gegenüber.
»Sie sollte erst etwas essen und trinken«, wandte Frau Gisela besorgt ein.
Bertrada schüttelte den Kopf.
»Im Haus meiner Großmutter mangelt es mir an nichts.«
Jetzt blickten alle zu Frau Berta. Die hatte inzwischen
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