Die Königsmacherin
nicht gerade um verwechselbare Zwillinge zu handeln«, sagte Frau Berta gerade, »und außerdem kennt sich meine Enkelin in Saint Denis und unter Euren Leuten, Herr Pippin, nicht aus. Ich halte es für besser, wenn sie noch ein kleines Weilchen – sagen wir, drei, vier Jahre – weiter bei mir bleibt, damit eine leichte Veränderung ihres Äußeren und etwaige Erinnerungslücken glaubhaft erscheinen.«
Bertrada nickte eifrig, als sie sich wieder an ihren Platz setzte und dabei so weit wie möglich von Pippin abrückte.
»Drei, vier Jahre!« wiederholte der Hausmeier belustigt. »Ein halbes Jahr reicht dafür vollauf, Frau Berta. Und für die Erinnerungslücken habe ich auch eine Lösung gefunden. Ich werde das Gerücht ausstreuen lassen, daß sich meine Gemahlin bei Verwandten aufhält, um die Kopfverletzungen auszukurieren, die sie bei jenem Überfall erlitten hatte, bei dem bedauerlicherweise Frau Mima, deren Gatte sowie noch einige andere getötet wurden – nämlich alle, die in den Betrug eingeweiht waren.«
»Kopfverletzungen?« fragte Bertrada verwirrt.
»Irgendeinen Grund müßt Ihr ja anführen können, wenn Ihr Euch an bestimmte Gesichter oder Vorfälle nicht mehr erinnern könnt«, meinte Pippin begütigend. »Damit dies aber nicht allzu oft geschieht, werde ich Euch meinen Freund und Vertrauten Pater Fulrad nach Mürlenbach schicken. Er wird Euch über alles, was Ihr wissen müßt, in Kenntnis setzen. Es gibt doch sicher eine Kapelle auf Eurer berühmten Burg?« wandte er sich an Frau Berta.
Diese nickte und wußte, was Vater Gregorius in dem Augenblicke dachte: Und einen Priester, der weder Scham noch Furcht beim Verlesen des Evangeliums empfindet, obwohl er in aller Offenheit mit zwei Frauen zusammenlebt.
Prompt meldete sich der Abt zu Wort: »Mit der Ernennung eines geeigneten neuen Priesters könnt Ihr in Eurem Haus den Bestimmungen der Synode entsprechen, Frau Berta, allerdings …« Vater Gregorius wandte sich an den Hausmeier: »… sollte es ein Priester aus Austrien sein, da die Neustrier sich dem Konzil verweigert haben.«
Bertrada staunte über den Mut des Abtes. Es war allgemein bekannt, daß Pippin der Synode absichtlich ferngeblieben war, da er wenig Lust verspürte, sich mit dem Papst in Rom Machtbereiche zu teilen und ihm ein wie auch immer geartetes Mitspracherecht zuzugestehen. Im Gegensatz zu seinem Bruder Karlmann wünschte Pippin offenbar nicht, daß das Heil für die Christenheit von Rom ausgehen möge. Karlmann … Bertrada verspürte einen Stich. Sie verglich das düstere, von einer häßlichen Narbe entstellte Gesicht des älteren Hausmeiers mit dem augenscheinlich offeneren und helleren seines Bruders. Sie dachte daran, daß letzterer einem Löwen und einem Stier gleichzeitig den Kopf abgeschlagen haben sollte, und sie entschied, daß ihr der unbeholfener auftretende und in seinem Wesen zerrissenere Karlmann tausendmal lieber war als sein weltgewandter, hochmütiger Bruder. Karlmann führte sich nicht auf, als wäre er der König der Welt: Er zweifelte, haderte, gab sich verletzlich und empfindsam. Pippin dagegen schien von solchen Regungen gänzlich frei zu sein. So reagierte er auch auf die Bemerkung des Abtes äußerst gelassen.
»Pater Fulrad ist Austrier«, beschied er Vater Gregorius. »Er ist bestens im Bilde über alles, was in seiner Heimat vorgeht. Aber natürlich wird er niemals den Priester einer kleinen Burgkapelle ersetzen wollen, dafür steht ihm eine viel zu glänzende Zukunft offen. Im übrigen werde ich gleich nach meiner Rückkehr nach Neustrien in Soissons dreiundzwanzig Bischöfe aus den Kirchenprovinzen Sens, Reims und Rouen zu einem Konzil einberufen.«
»Und was soll da beraten werden?« fragte Graf Charibert besorgt.
»Wir werden die Irrlehren des Adalbertus verdammen«, antwortete Pippin.
Und bestimmt die gleichen Beschlüsse verkünden, die auch auf unserer Synode gefaßt wurden, dachte Frau Berta vergnügt und sagte laut: »Eine sehr vernünftige Entscheidung. Das ganze Reich wird so vereinigt werden können.«
Schließlich blieb Pippin keine andere Wahl, als dem Beispiel seines älteren Bruders zu folgen. Jede noch so kleine offene Uneinigkeit der Brüder würde die Machtposition eines jeden von ihnen gefährden, und das konnten sich beide nicht leisten. Auch wenn sie einen angeblichen merowingischen Prinzen aus dem Kloster Saint-Bertin geholt und als Childerich III. auf den Thron gesetzt hatten, um die Stammesherzöge zu beruhigen
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