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Die Königsmacherin

Die Königsmacherin

Titel: Die Königsmacherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Er hatte zuvor nie an der Tüchtigkeit seiner Mutter gezweifelt, aber jetzt erst begriff er, daß sie sich eine harte Schale hatte zulegen müssen, um in ihrer Welt bestehen zu können. Im Kern war sie sogar noch weicher als er selbst. Wie verletzlich sie wirklich war, erfuhr er schon am zweiten Abend, als er mit ihr in der kleinen Kammer zusammensaß und beide über Bertrada sprachen.
    »Deine Tochter hat mir meine Einsamkeit erträglich gemacht«, hatte sie erklärt. »Bevor sie in mein Leben trat, war ich manches Mal so müde, mein Sohn, daß ich mich am liebsten in ein Kloster verkrochen und anderen die Verantwortung für mein Leben und Handeln überlassen hätte. Bertrada hat mich auf ihre Weise wachgerüttelt. Sie hat mir bewiesen, daß Härte sich selbst und anderen gegenüber nicht immer der richtige Weg ist. Das hat sie von dir gelernt, und heute bin ich sehr froh, daß du dir deine Milde bewahrt hast. Komm her, mein Kind, ich will dich an mein Herz drücken.«
    Mit Tränen in den Augen umarmte der erwachsene Mann die Mutter, der er es früher nie hatte recht machen können. Und als sie so innig beieinandersaßen, vertraute er ihr an, was ihm die Hexe vor so vielen Jahren im Wald mitgeteilt hatte. »Sie wird eine von uns werden«, zitierte er. »Jahrelang lebte ich in Sorge, daß der Teufel über mein Kind Macht ausüben und es uns wegnehmen würde. Auch deshalb habe ich über ihre ungleichen Füße geschwiegen – man hätte diese Abweichung ja als Hexenzeichen brandmarken können, sie vielleicht gar mit dem Bocksbeinigen in Verbindung gebracht!«
    Zärtlich strich Frau Berta über seine Hände. »Eine unnötige Sorge, Charibert, denn Bertradas Glaube ist fest verankert. Allerdings habe ich selbst zu Genüge erfahren, wie sehr Männer das Andersartige an Frauen fürchten und ihre Empfindsamkeiten dem Gehörnten zuschreiben, weil sie keine andere Erklärung dafür finden. Daß sich Bertradas Ahnungen oft bewahrheiten, heißt nicht, daß sie eine Hexe ist, sondern daß sie über ein feines Gespür verfügt. Sie könnte zur weisen Frau heranreifen, und dies war es wohl, was deine Hexe – wenn es denn eine war – dir sagen wollte. Ich glaube tatsächlich, daß deine Tochter über die Gabe der Zukunftsschau verfügt, und die wurde ja auch mancher Heiligen schon zu Lebzeiten zugeschrieben.«
    Frau Gisela entlastete die Herrin von Mürlenbach, indem sie sofort die Haushaltsführung übernahm. Ihre sanfte Stimme und liebenswürdige Ausstrahlung sorgten dafür, daß die Bediensteten ihr gern zu Willen waren. Die Gräfin erinnerte ein wenig an Flora, die auch stets eine freundliche Bitte dem strengen Befehl vorgezogen hatte.
    »Frau Gräfin, jetzt könnt Ihr Euch ausruhen, Flora ist wieder da!« erklärte die Hausmeisterin des Gutshauses erfreut. Staunend beobachtete Frau Gisela, wie ihre Tochter die Führung übernahm.
    »Du solltest einmal meinen Küchengarten in Mürlenbach sehen!« erzählte Bertrada, als sie spät am Abend mit ihren Eltern und der Großmutter in Frau Bertas warmer kleiner Kammer saß.
    »Ich würde sehr gern einmal deine berühmte Burg besichtigen«, sagte der Graf zu seiner Mutter. Die nickte, froh, daß sich der jahrzehntelange Groll zwischen ihnen endlich aufgelöst hatte. »Aber denkt dran«, warnte sie. »Auch für euch muß eure Tochter die ganze Zeit über ›Flora‹ bleiben. Niemand in meinem Haus darf je die Wahrheit erfahren!«
    Die ganze Wahrheit erfuhr Aunegilde zwar nicht, als sie am Vortag der Abreise des Grafenpaares in Mürlenbach hinter einem Strauch hockte und Unkraut jätete, aber doch mehr, als gut für sie war. Voller Stolz, der Mutter ihre Kräuter zu zeigen, hatte Bertrada Frau Gisela in den Küchengarten geführt. Da sich beide Frauen in dem von Mauern geschützten Garten unbeobachtet wähnten, fielen sie einander augenblicklich in die Arme. Aunegilde, die sich schon erhoben hatte, um Flora und der edlen Frau ihre Anwesenheit anzuzeigen, duckte sich sofort wieder.
    »Ach, mein Kind, es ist schon schwer, die eigene Tochter nach so vielen Jahren endlich um sich zu haben und sie dann wie eine Dienstbotin behandeln zu müssen«, sagte Frau Gisela seufzend. Sie sah sich erstaunt um. »Wie ist dein Interesse an den Pflanzen nur so plötzlich erwacht – früher wolltest du doch nie etwas damit zu tun haben, und dabei habe ich ja nun wirklich nichts unversucht gelassen!«
    »Die nackte Not hat es mich gelehrt!«
    Sie begann von der Muhme zu berichten, brach aber sofort

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