Die Königsmacherin
lesen und dankte Gott gleichzeitig dafür, daß seine Frau ihn wenigstens im Schlaf neben sich duldete.
Bertradas Zorn auf Pippin war zwar nicht verraucht, aber sie war verständig genug, sich ihm nicht völlig zu entziehen. Sie begriff auch, daß ihr nun endlich eine Gelegenheit geboten wurde, etwas mehr mit ihrem Leben anzufangen, als die Frauen im Genitium zu einer friedlichen Zusammenarbeit anzuspornen. Betroffen stellte sie eines Abends fest, daß sie den ganzen Tag über kein einziges Mal an ihr totes Kind gedacht hatte.
In den Gesprächen mit Pippin und Pater Fulrad schmeckte sie zum ersten Mal den süßen Nektar der Macht. Es gefiel ihr, daß sie als Beraterin ernst genommen wurde. Dabei war ihr durchaus bewußt, daß sie als Gattin des Hausmeiers für den Rest der Welt eigentlich nur eine einzige Aufgabe hatte, nämlich ihn mit Nachkommen zu versorgen. Da sie nicht bereit war, den dafür erforderlichen Akt zu vollziehen, mußte sie andere Wege beschreiten, um tatsächlich Einfluß nehmen zu können und einen Sinn in ihrem Leben zu finden.
Frau Berta sprach Latein mit der angelsächsischen Frau, die auf ihrer Pilgerreise nach Rom in Prüm gestrandet war.
»Hast du verstanden, daß du dich nicht im Kloster Echternach aufhalten darfst, sondern sofort verschwinden mußt und dann wieder auf dich selbst gestellt bist?« fragte sie eindringlich.
Die Frau nickte. »Ich kenne die Hintergründe dieser Täuschung nicht«, sagte sie, »aber ich zweifle nicht daran, daß ich mir mit dem Geld eine Begleitung verschaffen kann, die mich wieder in meine Heimat zurückführt. Und dort werde ich mich vom Rest in ein Kloster einkaufen. Ich danke dir, Herrin.«
Frau Berta öffnete eine Truhe und forderte die Frau auf, das zuoberst liegende Gewand und den Schleier in einen großen Hanfsack zu stecken. Sie überreichte ihr ein versiegeltes Schreiben.
»Dies darfst du nur Herrn Pippin überreichen!«
Am vierten Tag war die Sänfte bereit, die nach den Angaben Pippins in Prüm hergestellt worden war. In diesem tragbaren Bett sollte seine Gemahlin ihn nach Saint Denis begleiten, hieß es. Pippins Gefolge wußte noch nicht, daß ein Halt im Kloster Echternach vorgesehen war. Erst dort erfuhren sie, daß es der Gemahlin des Hausmeiers wieder so schlecht ging, daß sie die Reise unmöglich fortsetzen konnte. Da der Hausmeier seine eigene Synode vorbereiten mußte, sah er sich gezwungen, seine Gemahlin in der Obhut ihrer Verwandten im Kloster Echternach zurückzulassen und ohne sie weiterzureiten. Frau Bertas Brief klärte ihren Vetter, den Abt, darüber auf, daß aus Gründen der Sicherheit eine Angelsächsin, als ihre Enkelin getarnt, in seinem Kloster erscheinen würde. Er möge der Frau das beigelegte Geld aushändigen und sie danach fortschicken. Allen, die es wissen wollten, sollte er jedoch mitteilen, daß sich die Frau des Hausmeiers noch immer zur Genesung in seiner Abtei aufhalte.
Durch eine Ritze in der Wand des Gastraums beobachtete Bertrada die Abreise ihres Mannes und der tief verschleierten Frau in der Sänfte. Dann stieg sie wieder in die Kleider, die sie zu Flora machten, stieß die Tür auf und erklomm die Anhöhe zu Frau Bertas Gutshaus. Dort wurde sie mit großem Jubel empfangen, und es bereitete ihr Vergnügen, von den Bediensteten zu vernehmen, daß ohne sie alles drunter und drüber gegangen sei. Noch größere Freude aber machte es ihr, den Vater im einträchtigen Gespräch mit seiner Mutter zu sehen. Frau Berta und Graf Charibert hatten in den vergangenen Tagen die Gelegenheit genutzt, einander ihre Herzen zu öffnen und festzustellen, daß sie sich gar nicht so unähnlich waren, wie sie jahrelang vermutet hatten. Schon bei der Hinrichtung im Wald hatte die Klosterstifterin begonnen, ihren Sohn mit anderen Augen zu sehen, und ihre Meinung über ihn dahingehend geändert, daß er wohl doch nicht der willensschwache Weichling war, für den sie ihn immer gehalten hatte. Fragen, die sie ihm später über die Verwaltung seiner Ländereien stellte, beantwortete er so sachkundig und nüchtern, daß sie ihre frühere Überlegung endgültig verwarf, ihn zu enterben, indem sie ihre restlichen Güter dem Kloster schenkte. Sie gestand sich ein, ihrem Sohn die Untugenden seines nichtsnutzigen Vaters angelastet und ihn deswegen nie wirklich ernst genommen zu haben. Und das sagte sie ihm auch.
Die Ehrlichkeit und die Wärme, mit der sie ihrem Sohn sowie seiner Frau und Tochter begegnete, entwaffneten Graf Charibert.
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