Die Kolonie
aufgenommen ausgerechnet an einem Tag, wo du ganz besonders beschissen aussiehst.«
Wahrscheinlich wird die Frau, immer wenn dieser Film im Fernsehen gezeigt wird, wahrscheinlich wird sie dann von ihrer Familie ins Wohnzimmer gerufen und furchtbar damit aufgezogen.
»Was für die Welt wie ein Ungeheuer aussieht«, sagt Mandy, »ist für die Chewlah bloß Heimkino.«
Und sie lässt ein wenig Zeit verstreichen. Vielleicht wartet sie auf eine Reaktion. Auf ein Lachen, auf ein Stöhnen. Auf ein nervöses Zucken.
Über das Mädchen in dem Flugzeug sagt Mandy Soundso: Stell dir vor, wie die sich gefühlt haben muss. Verzehrt ihre kleine Bordmahlzeit, ohne satt zu werden. Bekommt nur noch größeren Hunger. Bittet die Stewardess um einen Nachschlag, um die Reste der anderen, einfach irgendetwas zu essen. Erkennt plötzlich, was mit ihr vorgeht. Bis dahin kennt sie nur vom Hörensagen die Geschichten, wie ihre Eltern sich manchmal für ein paar Nächte in den Wald verziehen und dort Rehe, Stinktiere, Lachse und überhaupt alles essen, was sie kriegen können. Für ein paar Nächte zu wilden Tieren werden und dann völlig erschöpft und womöglich schwanger wieder nach Hause kommen. Stell dir vor, dieses Mädchen will sich auf der Flugzeugtoilette verstecken, aber die Tür ist abgeschlossen. Besetzt. Da steht sie nun im Gang vor der Toilettentür, und ihr Hunger wird immer schlimmer. Endlich geht die Tür auf, ein Mann kommt heraus und sagt: »Entschuldigung«, aber da ist es schon zu spät. Was da draußen vor ihm steht, ist kein Mensch mehr. Es ist nur noch Hunger. Es schiebt ihn in das enge Plastikklo zurück und schließt sich da mit ihm ein. Bevor der Mann den ersten Schrei ausstoßen kann, hat das Wesen, das eben noch ein dreizehnjähriges Mädchen gewesen war, ihm die Zähne in die Luftröhre geschlagen und reißt sie ihm raus.
Sie frisst und frisst. Reißt ihm die Kleider vom Leib, wie man eine Apfelsine schält, um an das saftige Fleisch darunter heranzukommen.
Während die anderen Passagiere vor sich hindösen, frisst das Mädchen unersättlich weiter. Frisst und wächst. Und vielleicht sieht irgendwann eine Stewardess das Blut unter der verschlossenen Toilettentür hervorsickern. Vielleicht klopft sie an und fragt, ob da drinnen alles in Ordnung sei. Oder vielleicht frisst das Chewlah-Mädchen immer weiter und kann einfach nicht satt werden.
Was dann schließlich blutüberströmt aus der Toilette zum Vorschein kommt, ist noch lange nicht gesättigt. Es stapft durch den Gang der abgedunkelten Kabine und bedient sich wie an einem Büffet, greift sich im Vorübergehen Köpfe und Schultern und stopft das alles in sich hinein. Der vollbesetzte Flieger muss den hungrigen gelben Augen dieses Wesens wie eine riesige herzförmige Pralinenschachtel vorgekommen sein.
Eine mit Menschenköpfen garnierte Schlemmertafel.
Der letzte Funkspruch des Piloten, bevor die Cockpittür aufplatzte: »Mayday. Mayday. Jemand frisst meine Besatzung...«
Hier hört Mandy Soundso auf. Ihre Augen weit aufgerissene Kreise, eine Hand auf die Brust gepresst, ihr Atem, der mühsam ihrer Rede zu folgen versucht. Ihr nach Bier riechender Atem.
Die Tür geht auf, und eine größere Gruppe Männer drängt sich in die Kneipe, alle gleich gekleidet: Orange Sweatshirts. Orange Westen. Orange Jacken. Sehen aus wie Sportler, sind aber Straßenarbeiter. Im Fernsehen über der Theke läuft ein Werbespot der Kriegsmarine.
»Kannst du dir das vorstellen?«, sagt sie.
Was, wenn sie beweisen kann, dass es wirklich so war? Wenn allein die Rasse, der jemand angehört, ihn zu einer Massenvernichtungswaffe macht? Wird die Regierung jedem, der dieses Gen besitzt, zwangsweise Drogen verabreichen, die das unterdrücken sollen? Werden die Vereinten Nationen sie in Sicherheitsquarantäne stecken? In Konzentrationslager? Oder wird man sie mit Sendern ausstatten, wie man in Nationalparks gefährliche Grizzlybären mit Sendern ausstattet, damit man sie besser überwachen und verfolgen kann?
»Es ist nur noch eine Frage der Zeit«, sagt sie, » bis das FBI hier im Reservat auftaucht und Ermittlungen durchführt, meinst du nicht auch?«
Gleich in ihrer ersten Woche hier ist sie ins Reservat gefahren und hat mit den Leuten zu reden versucht. Ursprünglich wollte sie dort eine Wohnung mieten und das Alltagsleben beobachten. Wollte in die Einzelheiten der Chewlah-Kultur eindringen. Herausfinden, wie und wovon diese Leute lebten. Eine Sammlung mündlicher Berichte
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