Die Kolonie

werden. In Asien Yetis. In Kalifornien Oh-mah-ah. In Kanada Sasquatch. In Schottland Fear Liath More, die berühmten »Grauen Männer«, die auf dem Berg Ben Macdhui umgehen. In Tibet heißen diese Riesen Metoh-kangmi oder Abscheuliche Schneemenschen.
    Alles Namen für haarige Riesen, die in Wäldern und Bergen umherziehen und gelegentlich von Wanderern oder Holzfällern beobachtet oder sogar fotografiert, aber niemals von irgendwem gefangen werden.
    Sie nennt das ein transkulturelles Phänomen. Sie sagt: »Den Oberbegriff ›Bigfoot‹ kann ich nicht ausstehen.«
    All die verschiedenen Sagen sind unabhängig voneinander entstanden, aber sie alle beschreiben riesengroße haarige Ungeheuer, die gotteserbärmlich stinken. Die Ungeheuer sind scheu, greifen aber an, wenn sie gereizt werden. In einem Fall aus dem Jahre 1924 schössen Bergarbeiter im pazifischen Nordwesten auf etwas, das sie für einen Gorilla hielten; in der Nacht darauf wurde ihre Hütte auf dem Mount Saint Helen von einer Gruppe dieser haarigen Riesen mit Steinen beworfen. 1967 beobachtete ein Holzfäller in Oregon, wie ein zotteliger Riese tonnenschwere Felsbrocken aus dem gefrorenen Erdreich riss und die Erdeichhörnchen fraß, die darunter Winterschlaf hielten.
    Der größte Beweis, der gegen die Existenz dieser Ungeheuer spricht, ist, dass niemals eins gefangen wurde. Oder wenigstens tot aufgefunden wurde. Heutzutage streifen so viele Jäger durch die Wildnis, preschen Scharen von Motorradfahrern durch jedes Gelände - da müsste doch mal irgendjemand auf so ein Monster stoßen.
    Der Kellner kommt an den Tisch und fragt, ob wir noch was bestellen wollen. Und Mandy Soundso unterbricht sich mitten im Satz, als seien es Staatsgeheimnisse, die sie da ausplaudert. Sie sagt zu ihm: »Mach mir einen Deckel.«
    Als er gegangen ist, sagt sie: »Kennst du den walisischen Ausdruck gerulfos? «
    Sie sagt: »Darf ich?« Dreht sich halb um, wühlt beidhändig in der Handtasche auf dem Stuhl neben ihr und holt ein Notizbuch heraus, das mit einem Gummiband verschlossen ist. »Meine Notizen«, sagt sie, streift den Gummi ab und schlingt ihn sich ums Handgelenk.
    »Schon mal von der Rasse gehört, die die alten Griechen kynokephaloi genannt haben?«, sagt sie. Sie liest aus ihren Notizen vor: »Kennst du die vurvolak? Die aszvang? Die cadejo? «
    Das ist die andere Hälfte ihrer Obsession. »So viele Namen«, sagt sie und legt einen Finger auf die aufgeschlagene Seite des Notizbuchs, »Menschen überall auf der Welt glauben daran, schon seit Tausenden von Jahren.«
    Jede Sprache der Welt kennt ein Wort für Werwölfe. Jede Kultur der Welt fürchtet diese Monster.
    Auf Haiti, sagt sie, haben Schwangere so schreckliche Angst davor, dass ein Werwolf ihr Neugeborenes auffressen könnte, dass sie bitteren Kaffee mit Benzin trinken. Werdende Mütter baden in einem Gebräu aus Knoblauch, Muskat, Schnittlauch und Kaffee. Das alles, um das Blut ihres Babys für die in der Gegend hausenden Werwölfe ungenießbar zu machen.
    Und da setzt Mandy Soundsos Doktorarbeit an.
    Bigfoot und Werwölfe, sagt sie, sind ein und dasselbe Phänomen. Es gibt einen einfachen Grund dafür, dass die Wissenschaft noch nie einen toten Bigfoot gefunden hat: Das Ungeheuer verwandelt sich wieder zurück. Diese Monster sind Menschen. Verwandeln sich nur für wenige Stunden oder Tage. Entwickeln starke Behaarung. Werden zu Berserkern , wie die Dänen das Phänomen genannt haben. Nehmen gigantische Ausmaße an und entwickeln Bewegungsdrang, den sie in Wäldern und Gebirgen ausleben.
    »Das ist so was«, sagt sie, »wie ihr Menstruationszyklus.«
    Sie sagt: »Auch Männer haben solche Zyklen. Elefantenbullen haben etwa alle sechs Monate ihren Brunstzyklus. Verströmen Testosterongeruch. Ohren und Geschlechtsorgane verändern ihre Form, und die Tiere sind gereizt wie der Teufel.«
    Wenn Lachse, sagt sie, zum Laichen stromaufwärts wandern, verändern sie ihre Gestalt so sehr - ihr Kiefer verformt sich, ihre Schuppen wechseln die Farbe -, dass man sie kaum noch als Lachse erkennen kann. Oder wenn Grashüpfer zu Heuschrecken werden. Da verändert ihr Körper Größe und Form, und zwar vollständig.
    »Nach meiner Theorie«, sagt sie, »gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Bigfoot-Gen und Hypertrichose, oder aber mit dem humanoiden Gigantopithecus, der mutmaßlich vor einer halben Million Jahren ausgestorben ist.«
    Diese Mandy Soundso redet und redet.
    Männer haben sich schon schlimmeren Mist angehört,