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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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über ihre Sagen und ihre Geschichte anlegen. Also fuhr sie los, bewaffnet mit einem Kassettenrekorder und Kassetten, die für fünfhundert Stunden reichten. Aber niemand wollte mit ihr reden. Es gab weder Häuser noch Wohnungen noch Zimmer zu mieten. Sie war noch keine Stunde da, als der Sheriff ihr etwas von einer Vorschrift erzählte, nach der sie das Reservat spätestens bei Sonnenuntergang zu verlassen habe. Angesichts der weiten Strecke, sagte er, sollte sie sich am besten gleich auf den Rückweg machen.
    Die haben sie rausgeschmissen.
    »Ich will darauf hinaus«, sagt Mandy Soundso, »dass ich das alles hätte verhindern können.«
    Die Fressorgie dieses Mädchens. Den Absturz dieses Flugzeugs. Das zu erwartende Eintreffen von FBI-Beamten. Die Konzentrationslager. Die ethnische Säuberung.
    Seitdem treibt sie sich hier am College hemm, versucht, sich einen Chewlah-Mann zu angeln. Stellt Fragen und wartet. Wartet aber nicht auf eine Antwort. Sondern auf Beifall. Darauf, dass sie Recht behält.
    Dieses Wort vorhin, varulf, das ist »Werwolf« auf Schwedisch. Auf Französisch loup-garou. Dieser Gil Trudeau, der Berater von General Lafayette, das war der erste Werwolf in der - Geschichte Amerikas.
    »Sag mir, dass ich Recht habe«, sagt sie, »dann will ich versuchen, dir zu helfen.«
    Wenn das FBI hier auftaucht, sagt sie, wird diese Geschichte niemals an die Öffentlichkeit kommen. Sämtliche Träger des verdächtigen Gens werden sang- und klanglos in irgendwelchen Lagern verschwinden. Oder die Regierung führt zur Bereinigung der Lage eine Katastrophe herbei. Kein Völkermord, jedenfalls nicht offiziell. Aber es gibt einen guten Grund dafür, dass die Regierung gegen einige Stämme so hart vorgegangen ist, sie mit pockenverseuchten Decken ausgerottet oder in abgelegene Reservate verbannt hat. Sicher, das Bigfoot-Gen war nicht in allen Stämmen verbreitet, aber wer hätte denn vor einem Jahrhundert die gefährdeten Stämme identifizieren können?
    »Sag mir, dass ich Recht habe«, sagt Mandy Soundso, »und ich bringe dich ins Fernsehen.« Vielleicht sogar in Block A...
    Sie will mit der Geschichte groß rauskommen. Beim Publikum um Anteilnahme werben. Vielleicht auch Amnesty International dafür interessieren. Das könnte die nächste große Schlacht um die Bürgerrechte werden. Diesmal aber global. Alle anderen Gemeinschaften, Stämme und Gruppen weltweit, die als Träger ihres theoretischen Monster-Gens in Frage kommen, hat sie bereits identifiziert. Ihr Atem, ihr Bieratem sagt das Wort »Monster« so laut, dass die orangenen Straßenarbeiter sich nach ihr umdrehen.
    Auf der ganzen Welt wimmelt es von Männern, mit denen sie flirten könnte. Wenn dieses Rendezvous ein Reinfall wird, findet sie mit Sicherheit jemand anderen, der ihr sagt, was sie hören will.
    Dass Werwölfe und Yetis existieren. Und dass er selbst so ein Wesen ist; beides zusammen.
    Männer haben sich schon schlimmeren Mist angehört, bloß um eine ins Bett zu kriegen.
    Sogar Chewlah-Männer mit einem Pimmel im Gesicht.
    Sogar ich. Aber ich sage ihr: »Diese Dreizehnjährige hieß übrigens Lisa.« Ich sage: »Sie war meine kleine Schwester.«
    »Oralsex«, sagt Mandy Soundso, »ist nicht ausgeschlossen ...«
    Nur ein Idiot würde sie jetzt nicht ins Reservat mit zu sich nach Hause nehmen. Und sie seinen Leuten vorstellen. Der ganzen verdammten Familie.
    Ich stehe auf und sage: »Du kannst dich im Reservat umsehen - noch heute Nacht -, aber vorher muss ich noch mal kurz telefonieren.«

18
    In Miss Americas Garderobe, zwischen grauen Betonwänden und nackten Rohrleitungen, kniet Mrs. Clark neben dem Bett und sagt, ein Kind zu bekommen sei häufig ganz anders, als man sich das erträumt hat.
    Wir anderen stehen im Korridor und lauschen. Wir alle haben Angst, irgendetwas Wichtiges zu verpassen und uns dann auf den Bericht eines anderen verlassen zu müssen.
    Miss America liegt zusammengerollt auf ihrem Bett und starrt die graue Wand an. Sie hat in dieser Szene überhaupt keinen Text.
    Und Mrs. Clark - ihre gewaltigen trockenen Brüste ruhen auf der Bettkante - kniet neben ihr und sagt: »Erinnerst du dich an Cassandra, meine Tochter?«
    Das Mädchen, das in die Albtraum-Box gesehen hatte.
    Das sich die Wimpern abgeschnitten und dann aus dem Staub gemacht hatte.
    »Als sie verschwunden war, ist mir zum ersten Mal Mr. Whittiers Anzeige aufgefallen«, sagt sie. In einem Buch in ihrem verwaisten Zimmer lag ein Zettel, auf den Cassandra geschrieben

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