Die Kolonie
Auftreten des Virus, den die Ärzte später den Keegan-Virus nannten. Rapid progressiver, viraler Hirntumor.
Mein Vater verkaufte diese Ladung Engel und Lämmer an ein Gartengeschäft in Denver. Auf der Heimfahrt kaute er bereits Aspirin und konnte den Pick-up kaum noch auf der Straße halten. Er und meine Mutter waren schon im Krankenhaus gestorben, als meine Großmutter eintraf.
Danach herrschte erst einmal zehn Jahre lang Ruhe. Bis Miss Frasure diesen zitronengroßen Hirntumor bekam. Bis sich in mir genug Viren angesammelt hatten, dass ich ansteckend wurde.
Und jetzt kann die Regierung mich weder umbringen noch heilen. Sie kann nur Schadensbegrenzung betreiben.
Dieser Neue, der mit dem Schwanz, fühlt sich jetzt bestimmt so wie ich, als ich hierher gekommen bin: Seine Familie ist tot. Womöglich die Hälfte seiner Schule tot, falls er ein beliebter Schüler war. Den ganzen Tag allein in seinem Zimmer, hat er bestimmt Angst, aber auch Hoffnung, weil die Marine ihm Heilung versprochen hat.
Ich kann ihm zeigen, wie es hier läuft. Ihn beruhigen. Ihm helfen, sich hier im Waisenhaus einzuleben.
Am letzten schönen Tag meines Lebens führ mein Vater seinen Pick-up von Montana bis nach Denver, Colorado, wo er einen Laden kannte, der mit altem Gartenkrempel handelte. Gusseiserne Rehe und Vogeltränken aus bemoostem Beton. Die meisten dieser Sachen waren gestohlen. Der Händler gab ihm Bargeld und half die Engel von der Ladefläche heben. Sein kleiner Sohn kam aus der Hintertür des Geschäfts und sah den beiden bei der Arbeit zu.
Ich drücke auf den Knopf der Gegensprechanlage und frage Shirlee, ob dieser neue Bewohner... ob er rote Lockenhaare und braune Augen habe?
Ob er womöglich in meinem Alter sei? Ich frage, ob er aus Denver sei und ob seine toten Eltern ein Gartengeschäft gehabt hätten?
23
Das Geisterlicht ist das letzte Lagerfeuer, das uns noch geblieben ist. Die grelle nackte Glühbirne auf einem hohen Ständer in der Mitte der Bühne. Das Druckausgleichsventil, das verhindern sollte, dass die alten, mit Gas beleuchteten Theater in die Luft flogen. Heute das Licht, das verhindern soll, dass sich in neuen Theatern Gespenster niederlassen.
Wir sitzen im Kreis um das Licht herum, wir, die wir noch übrig sind, sitzen auf der Bühne, von wo aus man nur die vergoldeten Kanten der Zuschauersessel sehen kann, die Messinggeländer der Galerien und die Spinnwebwolken am erloschenen Elektrohimmel.
In dunklen Räumen hinter Räumen liegen Missing Link und der Kuppler, beide tot im italienischen Renaissance-Salon. Im Keller unter dem Keller verwesen Mr. Whittier, Genossin Snarky, Lady Tramp und der Herzog der Vandalen. In ihren Garderoben hinter der Bühne verfaulen Miss America und Mrs. Clark. Ihre Zellen verdauen sich gegenseitig zu einem flüssigen gelben Protein. Bakterien toben in ihren zum Platzen geblähten Eingeweiden und Lungen.
Damit sind wir noch zu elft, und jetzt sitzen wir im letzten Licht.
In unserer Welt, in der es nur noch Menschen gibt, aber keine Menschlichkeit.
Agent Plaudertasche hat überall heimlich Glühbirnen zerbrochen. Gräfin Weitblick und Direktorin Dementi ebenfalls.
Und jeder von uns überzeugt, der Einzige zu sein. Jeder von uns wollte unsere Welt nur ein klein wenig dunkler machen.
Keiner von uns ahnte, dass wir alle denselben Plan verfolgten. Opfer unserer Langeweile. Opfer unserer selbst. Vielleicht liegt es an unserem Hunger, an Wahnvorstellungen, aber das ist alles, was uns noch geblieben ist.
Diese eine Glühbirne. Dieses Geisterlicht.
Es ist ein Licht ohne Wärme, und so müssen wir uns in Jacken und Pelze und Bademäntel hüllen und können die Köpfe unter Bergen von Perücken und türbreiten Hüten kaum oben halten. Wir alle sind bereit.
Wenn die Tür zur Straße aufgeht, werden wir berühmt. Wenn wir das Schloss aufschnappen hören, das Quietschen des Rollgitters, das vergebliche Klicken und Klicken beim Versuch, das Licht anzuknipsen, haben wir unsere Geschichte, wir brauchen sie nur noch zu verkaufen. Und unsere Todeslager-Wangenknochen brauchen nur von der besten Seite fotografiert zu werden.
Wir werden erzählen, wie Mr. Whittier und Mrs. Clark uns mit falschen Versprechungen hierher gelockt haben. Sie haben uns eingesperrt und als Geiseln gehalten. Sie haben uns gezwungen, Bücher, Gedichte und Filme zu schreiben. Und wenn wir nicht wollten, haben sie uns gefoltert. Sie haben uns hungern lassen.
Im Kreis im Schneidersitz auf den Holzbrettern der Bühne
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