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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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können wir uns kaum noch bewegen in den Schichten aus Samt und wattiertem Tweed, die wir brauchen, um uns warm zu halten. Mit letzter Kraft wiederholen wir uns noch einmal unsere Geschichte: Wie Mrs. Clark das ungeborene Baby aus Miss Americas Bauch gerissen und vor den Augen seiner sterbenden Mutter gekocht hat. Wie Mr. Whittier den Kuppler zu Boden gerungen und ihm den Penis abgehackt hat. Und wie Whittier dann Mrs. Clark erstochen und einen großen Batzen von ihrem Oberschenkel verschlungen hat. Wir üben das Wort Peritonitis. Flüsternd üben wir Inguinale Hernie. Wir sagen Kartoffeln allumette.
    Wie die beiden Schurken gestorben sind und uns hungernd zurückgelassen haben.
    Sankt Prolaps hat schon eine Menge Striche an die Wand gemacht. Sein Meisterwerk. Irgendwann müsste doch mal der Hausbesitzer oder Vermieter oder sonst wer hier nach dem Rechten sehen kommen. Oder jemand von der Stromgesellschaft, den Strom abstellen, weil die Rechnungen nicht bezahlt sind.
    In dieser Stille wird sich das Knipsen eines Lichtschalters wie ein Schuss anhören.
    Ein Klicken reißt unsere Köpfe herum. Metall scheppert, und wir sehen alle in dieselbe Richtung. In die Kulissen, zur Eingangstür.
    Es quietscht, und die Dunkelheit explodiert.
    Nachdem wir so lange im Dunkeln gelebt haben, sehen wir in diesem blendenden Licht alles nur Schwarzweiß. Nur Konturen, so grell, dass wir die Augen zukneifen müssen.
    Keine Glühbirne kann so ein starkes Licht erzeugen.
    Es kommt nicht aus der Eingangstür. Der massive Sonnenstrahl, der die Bühne mit einem Schlag taghell erleuchtet, kommt von oben. Wir halten uns blinzelnd die Hände über die Augen. Ein neuer Tag ist angebrochen, die Sonne ist aufgegangen und wirft unsere Schatten lang über den Bühnenboden. Unsere Schatten kauern an den braunen Wasserflecken auf der Filmleinwand hinter uns.
    Auf der Leinwand sieht man unsere schief sitzenden Perücken. Unsere ausgemergelten Körper, so dünn, dass wir, wie Genossin Snarky sagen würde, alles tragen könnten.
    Es ist der Filmprojektor, nur ohne Film, der uns in dieses gleißende Licht taucht, ein gewaltiger Scheinwerfer. Hell wie ein Leuchtturm. Diese Sonne scheint aus Richtung Mitternacht an der Rückwand des Theaterraums.
    Noch kann keiner von uns aufstehen. Wir können nur die Köpfe ducken und wegschauen.
    Der Projektor ist so grell, dass das Geisterlicht gar nicht mehr an zu sein scheint. Sieht aus wie eine Geburtstagskerze an einem Sommertag.
    »Mal wieder unser Gespenst«, sagt Baronin Frostbeule.
    Das zweiköpfige Baby von Sankt Prolaps.
    Der Antiquitätenhändler von Gräfin Weitblick.
    Der vergaste und erschlagene Privatdetektiv von Agent Plaudertasche.
    Miss Rotz gähnt und sagt: »Noch eine gute Szene für unsere Geschichte.«
    Wie die Sache mit dem Popcorn. Oder der reparierte Heizkessel. Unsere Kleidung, die plötzlich gewaschen und zusammengelegt war. Alles Paranormale, jedes Wunder ist nur ein zusätzlicher Spezialeffekt.
    Sankt Prolaps wendet sich an Mutter Natur und sagt: »Wo wir jetzt eine romantische Nebenhandlung sind... könntest du mir nicht mal so eine Fußmassage verpassen?«
    Agent Plaudertasche sagt: »Wenn wir wieder draußen sind, kiffe ich einen ganzen Monat lang durch ...«
    Reverend Gottlos sagt: »Ich brenne jede Kirche nieder, die ich finden kann...«
    Jeder von uns nur noch ein Haufen Stoff, Pelz und Haar.
    Direktorin Dementi sagt: »Ich kaufe für Cora Reynolds einen Grabstein...«
    Von den Wänden hinter dem grellen Licht, von da, wo man nicht hinsehen kann, hallt es zurück: » ... Grabstein ... Grabstein ...«
    Wir alle versuchen immer noch, das letzte Wort zu behalten. Graf Schandmaul spult die Kassette zurück und spielt das noch einmal ab: »Grabstein... Grabstein...« Und das aufgezeichnete Echo echot. Das Echo eines Echos eines Echos.
    Es echot, bis eine Stimme von weit weg, von hinter der Sonne her sagt: »Ihr spielt vor leerem Haus.«
    Die Stimme kommt von jenseits des Grabes. Auch dies so eine Szene wie unsere Geschichte von Genossin Snarky, die von den Toten zurückkehrt, die Foyertreppe hinunterwankt und um einen Happen von ihrem eigenen Rosentattoo bittet. Vor dem grellen Licht sieht niemand unser Gespenst den Mittelgang des Zuschauersaals hinaufgehen. Niemand hört es auf dem schwarzen Teppich zur Bühne schreiten. Niemand kann sagen, was da in diesem Gleißen auf uns zukommt, bis die Stimme noch einmal sagt: »Ihr spielt vor leerem Haus ...«
    Es ist der alte, zitternde, auf jung

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