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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Tabletts mit Essen, mit dampfender Tomatensuppe.
    Der Mann schob die Rolltrage so schnell, dass die Deckenfliesen ineinander flössen, so schnell, dass ich im Liegen die Augen zumachen musste, damit mir nicht schlecht wurde.
    Aus den Krankenhauslautsprechern kam ständig die Durch* sage: »Code Orange... Ostflügel, erster Stock... Code Orange, Ostflügel, erster Stock ...«
    Und ich schluckte immer noch den klebrig süßen Geschmack dieser Pille.
    Shirlee sagt, zwei von diesen kleinen blauen Pillen wären eine tödliche Überdosis.
    Als ich aufwachte, war ich hier in diesem Zimmer mit dieser Aussicht auf den Fuget Sound, mit diesem Großbildfernseher, mit diesem sauberen, beige gekachelten Bad. Mit der Gegensprechanlage in der Wand neben dem Bett. Einige meiner Sachen von zu Hause, Kleider und CDs, standen in eingeschweißten Kartons auf dem Boden. Offenbar wurde ich von einer Kamera beobachtet, denn sobald ich mich im Bett aufrichtete, sagte die Gegensprechanlage: »Guten Morgen.«
    Meine Oma war tot. Raymon war tot. Miss Frasure, meine Englischlehrerin - tot. Das ist jetzt vier Weihnachten her, aber es könnte genauso gut eine Schwarzweißwiederholung von irgendetwas sein, das ich vor hundert Jahren im Fernsehen gesehen habe.
    Hier im Waisenhaus kommt einem der Zeitsinn abhanden. In meiner Akte steht, dass ich zweiundzwanzig bin. Alt genug, um Bier zu trinken. Und habe bisher nur einmal einen toten Jungen geküsst.
    Eins, zwei, drei Tage, und mein Leben war vorbei. Ich habe nicht mal den Highschool-Abschluss gemacht.
    In deinem Körper sammelt sich eine solche Menge Viren an, dass du den Keegan-Typ-1-Virus auf jeden überträgst, dem du begegnest; aber erwarte nicht, dass du einen Anwalt bekommst. Oder einen Betreuer. Oder einen Ombudsmann. Du landest auf Columbia Island, und du kannst damit rechnen, in einem annehmbaren Zimmer zu leben, wie in einem besseren Hotel - allerdings für den Rest deines Lebens. Immer dasselbe Zimmer. Dieselbe Aussicht. Dasselbe Bad. Zimmerservice-Essen. Fernsehfilme. Eine braune Tagesdecke. Zwei Kopfkissen. Ein brauner Liegesessel.
    Hier sind Leute eingeschlossen, die nur ein einziges Mal etwas falsch gemacht haben. Die im Flugzeug neben dem falschen Fluggast gesessen haben. Oder im Aufzug mit jemandem gefahren sind, mit dem sie nicht mal ein Wort gewechselt haben. Und die dann einfach nicht gestorben sind. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man sein Leben hier verbringen kann. Hier - das ist eine kleine Insel im Puget Sound, im Bundesstaat Washington. Das Marinehospital auf Columbia Island.
    Die meisten sind mit siebzehn oder achtzehn Jahren hierher gekommen. Der Stabsarzt, Dr. Schumacher, sagt, wir sind, als wir ganz klein waren, mit etwas angesteckt worden, mit irgendeinem Virus oder Parasiten, der Jahre gebraucht hat, um sich in unserem Organismus auszubreiten. Irgendwann hat die Virusmenge oder der Blutserumspiegel ein gewisses kritisches Niveau überschritten, und von dem Tag an sind Menschen in unserer Umgebung gestorben.
    Und wenn die Gesundheitsbehörden ein solches gehäuftes Auftreten von Todesfällen feststellen, kommen sie dich holen, stecken dich in einen kontaminationssicheren Schutzanzug und laden dich hier ab, wo du den Rest deines Lebens verbringen kannst.
    Jeder hier auf Columbia Island ist Träger einer anderen Krankheit, sagt Shirlee. Jeder hat einen einzigartigen Stamm von Killerviren in sich. Oder tödliche Parasiten. Oder Bakterien. Deswegen sind diese Leute, ist jeder Einzelne von ihnen, isoliert von allen anderen. Damit sie sich nicht gegenseitig umbringen.
    Trotzdem, sagt Shirlee, bekommen sie im Winter Heizung. Im Sommer Aircondition. Und täglich alle Mahlzeiten, Fisch und Gemüse, Eis, Sandwichs. Alles, was der Etat hergibt.
    Shirlee sagt, wenn die heißen Augusttage kommen, ist allein schon die Klimaanlage es wert, hier zu arbeiten.
    Sie nennt die Bewohner »Blutkühe«. In jedem Apartment hier kommen unter einem Spiegel zwei lange Gummiarme aus der Wand. Die Arme sind aus kugelsicherem Gummi. Alle zwei Tage geht hinter dem Spiegel ein Licht an, zum Zeichen, dass hinter der Wand ein Labortechniker sitzt, und der fahrt dann mit seinen Armen in die Gummiarme, nimmt eine Blutprobe, stellt die Probe in eine kleine Luftschleuse und kann sie dann gefahrlos auf der anderen Seite entnehmen.
    Wenn das Licht angeht, wenn der Spiegel in deinem Apartment zu einem Fenster wird, kannst du die Kamera sehen. Sie ist immer da. Beobachtet dich. Zeichnet dich auf.
    Zu

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