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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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die Kakerlaken herumkrabbeln. Der Antiquitätenhändler. Cassandra, die sich die Wimpern abschneidet und nackt aus dem Haus verschwindet.
    Alle deine Probleme und Liebesaffären.
    Alles nur Täuschung und Wahn.
    »Was man in der Box sieht«, sagt Rand, »ist ein Zipfel der wirklichen Wirklichkeit.«
    Die zwei Leute sitzen immer noch nebeneinander auf dem Betonfußboden der Galerie, die Sonne scheint durch die Fenster, Straßenlärm dringt herein. Und alles fühlt sich plötzlich anders an. Sie könnten an einem Ort sein, an dem sie noch niemals gewesen sind. Und genau jetzt hört die Box zu ticken auf.
    Und Mrs. Clark hatte zu viel Angst, hineinzusehen.

13
    Wir haben nichts zu essen. Kein heißes Wasser. Bald werden wir auch kein Licht mehr haben und im Finstern umhertappen, mit ausgestreckten Armen unseren Weg an den schimmligen Tapeten ertasten müssen. Oder über den klebrigen Teppich kriechen, Hände und Knie dick verkrustet mit getrocknetem Mäusedreck. Die steifen Flecken im Teppich, verzweigt wie Arme und Beine.
    Die Heizung ist auch wieder kaputt, und wir müssen wieder frieren - wie sich das gehört.
    Immer wieder hört man Sankt Prolaps um Hilfe rufen, aber so leise wie das letzte Echo von einer sehr weit entfernten Wand.
    Sankt Prolaps nennt sich Volkskomitee zur Erlangung von Aufmerksamkeit. Den ganzen Tag geht er an den Außenwänden entlang, schlägt an die verschlossenen Brandschutztüren und schreit. Schlägt allerdings nur mit der flachen Hand. Und schreit auch nicht zu laut. Gerade laut genug, um sagen zu können, er hat es wenigstens versucht. Wir haben es wenigstens versucht. Wir haben das Beste aus der Situation gemacht und uns als starke Charaktere erwiesen.
    Wir leiden immer noch, obwohl das Gespenst eines Nachts die verstopften Abflussrohre der Toiletten wieder freibekommen hat. Das Gespenst hat auch mit einer Zange das Gas für den Warmwasserbereiter wieder angestellt, nachdem Genossin Snarky den Ventilhebel hatte verschwinden lassen. Es hat sogar das Stromkabel der Waschmaschine repariert und eine Ladung Wäsche angeschmissen.
    Für Reverend Gottlos ist unser Gespenst der Dalai Lama.
    Für Gräfin Weitblick ist es Marilyn Monroe. Oder Mr. Whittiers chromglänzender Rollstuhl, der leer in seinem Zimmer steht.
    Beim Spülgang gibt das Gespenst Weichspüler in die Maschine.
    Glühbirnen sammeln, um Hilfe rufen, die guten Taten des Gespensts rückgängig machen: Wir haben ungeheuer viel zu tun. Allein den Heizkessel immer wieder kaputt zu machen ist ein Vollzeitjob.
    Schlimm ist nur, dass wir nichts davon in das endgültige Drehbuch übernehmen können. Nein, wir müssen einen gequälten Eindruck machen. Als ob wir Hunger und Schmerzen leiden. Wir mussten um Hilfe beten. Mrs. Clark müsste uns mit eiserner Faust regieren.
    Das alles ist nicht schrecklich genug. Nicht einmal unser Hunger erfüllt unsere Erwartungen. Eine Enttäuschung.
    »Wir brauchen ein Monster«, sagt Schwester Vigilante. Sie hat die Ellbogen auf die Bowlingkugel in ihrem Schoß gestützt und bricht sich mit einem Messer die Fingernägel heraus; schiebt die Messerspitze unter einen Nagel und schaukelt die Klinge hin und her, bis er hochklappt und sie ihn herausziehen kann. Sie sagt: »Hauptbestandteil jeder Horrorgeschichte ist das Haus selbst: Es muss uns sabotieren.«
    Sie schnippt die Fingernägel weg, schüttelt den Kopf und sagt: »Wenn man daran denkt, wie viel Geld die Narben einbringen werden, tut es gar nicht weh.«
    Wir können uns gerade noch beherrschen, dass wir Mrs. Clark nicht aus ihrer Garderobe schleppen und mit vorgehaltenem Messer zwingen, uns zu tyrannisieren.
    Schwester Vigilante nennt sich Volkskomitee zur Erlangung eines anständigen Feindes.
    Direktorin Dementi humpelt auf ihren in Seidenlappen gewickelten Füßen herum. Sie hat sich alle Zehen abgehackt. Ihre linke Hand ist nur noch ein Paddel aus Haut und Knochen, nur noch die Handfläche, alle Finger inklusive Daumen abgehackt. Und dieses Paddel ist dick mit Tüchern umhüllt. An ihrer rechten Hand gibt es nur noch Daumen und Zeigefinger. Und darin hält sie einen abgetrennten Finger, der Nagel noch dunkelrot lackiert.
    Mit diesem Finger geht die Direktorin durchs ganze Haus, von der Tausend-und-eine-Nacht-Galerie bis zum italienischen Renaissance-Salon, und sagt dabei: »Huhu, Miez, Miez, Miez.« Sagt: »Cora? Komm zu Mama, Cora, mein Baby. Essen ist fertig...«
    Immer wieder hört man Sankt Prolaps flüsterleise rufen: »Hilfe ... hilft uns denn

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