Die Kolonie
warteten nur darauf, verschüttet oder zerschlagen zu werden.
Rand legte Cassandra eine Hand auf den Nacken, die Haut über ihrem Rückgrat, wohin es nur eine einzelne weiche Locke verschlagen hatte. Das obere Ende des Reißverschlusses, der sich bis zum Hintern hinzog. Unter dem Druck seiner Hand bog sich ihr Hals, ihr Kinn kam etwas höher, und ihre Lippen öffneten sich. Ihren Hals in einer Hand, ihre Handtasche in der anderen, sagte er: »Sieh hinein.«
Die Box schweigt. Still wie eine Bombe unmittelbar vor der Explosion. Vor dem Knall.
Cassandra öffnet die linke Seite ihres Gesichts: die Augenbraue geht hoch, die von Mascara schweren Wimpern zittern. Das grüne Auge ist feucht und weich, in einem Zustand zwischen flüssig und fest. Sie nähert das Auge dem kleinen runden Glas, der Dunkelheit dahinter.
Die Menge umringt sie. Lauernd. Rand hält sie immer noch am Nacken fest.
Ein lackierter Fingernagel bewegt sich auf den Knopf zu. Cassandra drückt ihr Gesicht an den schwarzen Kasten und sagt: »Sagen Sie, wann.«
Damit man da hineinsehen kann, damit das Gesicht richtig an dem Kasten anliegt, muss man den Kopf ein wenig nach rechts drehen. Und man muss sich bücken, eine Spur zu weit nach vorn beugen. Und weil einen das aus dem Gleichgewicht bringt, muss man sich an den Griffen festhalten. Daher ruht das Körpergewicht, durch die Hände übertragen, auf der Box, und man balanciert auf seinem Gesicht.
Cassandras Gesicht an den Rillen und Ornamenten des alten schwarzen Kastens. Als ob sie das Ding küsste. Ihre zitternden Locken. Das Glitzern ihrer Ohrringe.
Ihr Finger drückt auf den Knopf.
Und das Ticken fängt wieder an, leise, tief im Innern der Box.
Was geschieht, sieht Cassandra allein. Der Zufalls-Timer läuft wieder, für eine Woche, ein Jahr. Eine Stunde.
Ihr Gesicht bleibt an den Kasten gedrückt, bis ihre Schultern herabsinken. Mit hängenden Schultern richtet sie sich auf.
Heftig zwinkernd, weicht Cassandra einen Schritt zurück und schüttelt den Kopf. Ohne irgend) emandem in die Augen zu sehen, senkt sie den Blick zu Boden, auf die Füße der Leute, und presst die Lippen zusammen. Die steife Vorderseite ihres Kleids klafft auf, und in der vorgewölbten Öffnung erscheinen ihre nackten Brüste. Sie streckt eine Hand aus und stößt sich von der Box weg.
Sie steigt aus ihren Stöckelschuhen und bleibt mit nackten Füßen stehen. Ihre Beinmuskeln verschwinden. Ihre knackigen Hinterbacken erschlaffen.
Eine Maske aus losen Haaren hängt ihr vorm Gesicht.
Wenn man groß genug ist, kann man ihre Brustwarzen sehen.
Rand sagt: »Und?« Er räuspert sich, stößt unter lautem Rasseln von Rotz und Speichel Atem aus und sagt: »Was hast du gesehen?«
Und immer noch jeden Blickkontakt vermeidend, die Wimpern tief nach unten gesenkt, greift sich Cassandra an den Kopf und nimmt ihre Ohrringe ab.
Rand hält ihr die kleine Handtasche hin, aber Cassandra nimmt sie nicht. Stattdessen gibt sie ihm ihren Schmuck.
Mrs. Clark fragt: »Was ist?«
Und Cassandra sagt: »Können wir jetzt nach Hause gehen?« Alle hören die Box ticken.
Zwei Tage später schnitt sie sich die Wimpern ab. Warf einen Koffer offen aufs Fußende ihres Betts und begann, ihn zu packen, Schuhe und Strümpfe und Unterwäsche. Dann packte sie alles wieder aus. Und noch einmal. Nach ihrem Verschwinden war der Koffer noch da. Halb voll oder halb leer.
Jetzt hat Mrs. Clark nur noch ihre Notizen, ihre dicke Mappe mit Notizen, aus denen hervorgehen müsste, wie die Albtraum-Box funktioniert. Irgendetwas mit Hypnose. Die Box pflanzt einem etwas ein, ein Bild oder eine Idee. Ein Blitz im Unterbewusstsein. Die Box injiziert einem eine Botschaft ins Gehirn, so tief, dass man sie nicht wahrnimmt, nicht herausholen kann. Die Box infiziert einen. So dass einem alles, was man weiß, falsch vorkommt. Sinnlos.
In der Box befindet sich etwas, dass man, einmal gelernt, nie mehr loswird. Neue Ideen, die man nie beseite tun kann.
Und dann ist Cassandra verschwunden.
Am dritten Tag geht Mrs. Clark in die Stadt. Noch einmal zu der Galerie. Die dicke Mappe mit Notizen unterm Arm.
Die Eingangstür ist offen, die Lampen sind aus. Rand sitzt im grauen Fensterlicht auf dem Boden, um ihn herum liegen abgeschnittene Haare. Sein kleiner Ziegenbart ist ab. Sein dicker Diamantohrring ebenfalls.
Mrs. Clark sagt: »Sie haben reingeschaut, stimmt's?«
Der Galeriebesitzer sitzt einfach da, die Beine auf dem kalten Beton ausgestreckt, und betrachtet seine
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