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Die Kolonie

Die Kolonie

Titel: Die Kolonie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chuck Palahniuk
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Poltern, das sie durch ihre flachen Schuhe auf dem Bürgersteig spüren konnte. Es kam alle paar Sekunden, wurde mit jedem Mal lauter und kam immer näher. Auf dem Bürgersteig war sonst niemand, und die Frau blieb stehen und lehnte sich mit dem Rücken an die Backsteinmauer eines Hotels. Im hellen Eingang eines Feinkostladens auf der anderen Straßenseite stand ein Asiate und trocknete sich an einem weißen Handtuch die Hände ab. Irgendwo im Dunkel zwischen den Straßenlaternen klirrte Glas. Wieder das Poltern. Eine Autoalarmanlage jaulte. Das Poltern kam näher, etwas Unsichtbares in der Finsternis. Ein Zeitungskasten stürzte um und fiel krachend auf die Straße. Dann wieder dieses Stampfen, sagt sie, und aus einer Telefonzelle, keine drei geparkten Autos von ihr entfernt, flogen alle Scheiben raus.
    Laut dem kleinen Bericht, der am nächsten Tag in der Zeitung stand, hieß, war ihr Name Teresa Wheeler. Dreißig Jahre alt. Sekretärin in einer Anwaltskanzlei.
    Unterdessen ging der Asiate in seinen Laden zurück und drehte das Schild an der Ladentür um: Geschlossen. Ohne das Handtuch wegzulegen, verschwand er eilig im Hintergrund und machte das Licht aus.
    Jetzt war es auf der Straße noch dunkler. Die Autoalarmanlage jaulte. Das Stampfen war wieder zu hören, so wuchtig, dass Wheelers Spiegelbild im dunklen Schaufenster des Feinkostladens erzitterte. Ein Briefkasten auf dem Bürgersteig gab ein Donnern von sich wie eine Kanone, neigte sich zerbeult zur Seite und vibrierte noch lange nach. Ein Strommast schwankte, die Kabel schlugen so heftig aneinander, dass ein sommerliches Feuerwerk von Funken niederging.
    Einen Block von Wheeler entfernt, hügelabwärts explodierte die Plexiglasverkleidung eines Buswartehäuschens mitsamt dem von hinten beleuchteten Foto eines Filmstars in Unterhose.
    Wheeler drückte sich flach an die Mauer, drückte ihre Finger in die Fugen zwischen den Steinen und krallte sich fest wie Efeu. Den Kopf presste sie so heftig an den rauen Stein, dass sie den Polizisten, denen sie die Geschichte später erzählte, die kahl geschabte Stelle am Hinterkopf zeigen konnte.
    Und dann, sagte sie, kam nichts mehr.
    Nichts. Nichts war auf der dunklen Straße an ihr vorbeigegangen.
    Schwester Vigilante, die das erzählt, schiebt sich dabei ein Messer unter einen Fingernagel und bricht ihn heraus.
    Die bürgerliche Dämmerung, sagt sie, dauert von Sonnenuntergang bis zu dem Zeitpunkt, da die Sonne sechs Grad unter dem Horizont steht. Diese sechs Grad entsprechen etwa einer halben Stunde. Die bürgerliche Dämmerung, erklärt Schwester Vigilante, ist von der nautischen Dämmerung zu unterscheiden, die erst endet, wenn die Sonne zwölf Grad unter dem Horizont steht. Die astronomische Dämmerung hingegen endet erst, wenn die Sonne achtzehn Grad unter dem Horizont steht.
    Die Schwester sagt, dieses Etwas, das kein Mensch gesehen hat, dieses Etwas, das Teresa Wheeler gehört hat, habe das Dach eines Autos eingedrückt, das an der 16. Avenue vor einer roten Ampel gewartet hat. Dasselbe unsichtbare Nichts habe die Neonreklame der Tropics Lounge zertrümmert und das große Stahlschild unter dem Fenster im zweiten Stock des Gebäudes zerknickt.
    Trotzdem gab es nichts zu beschreiben. Wirkung ohne Ursache. Ein unsichtbarer Amoklauf durch die ganze Lewis Street, und von der 20. Avenue bis ins Hafengebiet.
    Am 29. Juni, sagt Schwester Vigilante, war der Sonnenuntergang um 20:36 Uhr.
    Die bürgerliche Dämmerung endete um 21:08 Uhr.
    Der Kartenverkäufer des Pornokinos Olympia berichtete, vor seinem Schalterfenster sei etwas vorbeigerauscht. Gesehen habe er nichts. Nur etwas gehört, ein Brausen wie von einem unsichtbaren Bus, oder ein gewaltiges Ausatmen, so nah, dass es das Papiergeld vor ihm aufgewirbelt habe. Ein lautes Zischen. Am Rand seines Blickfeldes hätten die Lichter des Restaurants auf der anderen Straßenseite geflackert, als sei die ganze Welt für einen Augenblick ausgelöscht gewesen.
    Mit dem nächsten Atemzug beschrieb der Kartenverkäufer das stampfende Geräusch, von dem auch schon Teresa Wheeler berichtet hatte. Irgendwo im Dunkeln bellte ein Hund. Das Geräusch habe sich angehört wie Schritte, erzählte der Kartenverkäufer der Polizei. Wie gigantische Schritte. Ein Riesenfuß, der unsichtbar direkt vor ihm vorbeigegangen sei.
    Am 1. Juli beklagten sich die Leute über den Wassermangel. Sie schimpften über städtische Etatkürzungen und Stellenstreichungen bei der Polizei. Autoaufbrüche

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